"Geschäfts-Verkauf! Unterzeichnete Firma beehrt sich, den verehrten Kunden bekanntzugeben, dass sie das seit Jahrzehnten eingeführte Schuhhaus käuflich erworben hat und als arisches Unternehmen weiterführen wird."
So bzw. ähnlich lesen sich viele Arisierungsinserate im Jahre 1938 nach dem "Anschluss". Die "Arisierung" jüdischen Eigentums wurde auch in der Steiermark in großem Umfange betrieben. Leider fehlt für die Steiermark dazu eine Aufarbeitung dieses Themas gänzlich.
Die Arisierung - im nazistisch-rassistischen Jargon die "Entjudung" - betraf in der Steiermark mehr als 250 Betriebe und Betriebsbeteiligungen sowie über 1000 städtische Häuser und landwirtschaftliche Objekte, wobei die beiden letzteren allein einen Wert von 30 Millionen Reichsmark repräsentierten.
Die Arisierung von jüdischen Geschäften
Dem antisemitischen Wunsch nach Ausschaltung der jüdischen Bevölkerung aus der steirischen Wirtschaft wurde von der NSDAP bereits 1929 Ausdruck verliehen. In ihren "Grazer Nachrichten" nahmen sie die Vorgänge von 1938 bereits vorweg: "Deutsche, kauft nur bei Juden! Je größer das Unrecht wird, das Ihr dem eigenen Volk antut, umso eher kommt der Tag, da auch unter uns ein Mann aufsteht, die Peitsche nimmt und alle Schieber zum Tempel unseres deutschen Vaterlandes herausschlägt". Dem Artikel folgt eine Liste von über 200 tatsächlichen oder vermeintlichen Grazer Geschäftsleuten "jüdischer Rasse und Abstammung". Der Boden für das folgende Unrecht war daher im März 1938 gut aufbereitet, und so setzte sofort nach dem "Anschluss" ein wildes Räubern und Plündern seitens lokaler Nationalsozialisten, aber auch nationalsozialistischer Parteistellen ein.
Diese Zeit der wilden Arisierung war in der Steiermark nur von kurzer Dauer. Bereits im April 1938 war ein Gesetz erlassen worden, das jüdische Geschäftsleute aus dem Wirtschaftsleben ausschalten sollte. Die dafür geschaffene "Vermögensverkehrsstelle" organisierte die bürokratische Enteignung der Juden. Eine Reihe von Gesetzen regelte den staatlich legalisierten Raubzug. Im April 1938 wurde die Vermögensanmeldung für Juden verordnet, am 12. November 1938 - also unmittelbar nach dem Novemberpogrom - die "Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben". Am 3. Dezember 1938 folgte die "Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens". In Graz wurde eine Zweigstelle der "Vermögensverkehrsstelle" eingerichtet. Durch diese Stelle wurde den jüdischen Unternehmen ein sogenannter "Kommissarischer Verwalter" zur Seite gestellt, welcher von den Eigentümern zu bezahlen war.
Der 1990 verstorbene Sohn des jüdischen Malermeisters Simon Salzmann, der einen gutgehenden Gewerbebetrieb am Grazer Griesplatz betrieb, berichtet in seinen Erinnerungen:
"Ich erinnere mich sehr gut", so Harald Salzmann, "wie der Kommissär zu uns kam, um meinem Vater seine de facto Entmündigung zu erklären. Mein Vater musste seine Brieftasche auf den Tisch legen, dann forderte er auch den Inhalt seiner Geldbörse ab. Dann nahm er alle Geschäftsschlüssel in Besitz." Diese Verwalter, meist ehemalige illegale Parteigenossen, übernahmen die Leitung der finanziellen und wirtschaftlichen Gebarung. Alle Konten waren für die Eigentümer gesperrt. Damit wurden die jüdischen Inhaber in ihrem eigenen Geschäft von einem Tag auf den anderen zu rechtlosen Bittstellern.
Die kommissarische Verwaltung hatte jedoch nur vorbereitenden Charakter, um gewinnbringende Unternehmen in "arische" Hände zu überführen. Wer ein jüdisches Unternehmen arisieren wollte, musste sich darum bewerben. Man nutzte dabei bewusst die Notsituation der jüdischen Besitzer aus, um sich zu bereichern, oder man sah es als gerechtfertigte "Belohnung" für erlittene Nachteile in der "Verbotszeit" zwischen 1933 und 1938 an.
Laut Univ.Ass. Dr. Eduard Staudinger (Abteilung Zeitgeschichte der Universität Graz) lassen sich bei der "Entjudung" größerer Betriebe in der Steiermark zwei Typen von Ariseuren feststellen. Da gibt es zum einen die lokalen Einzelariseure, welche versuchen, in einem Ort wie etwa Bad Gleichenberg das gesamte jüdische Vermögen an sich zu ziehen. Andererseits bildeten sich richtige Interessengemeinschaften aus Rechtsanwälten, Vertretern der Verwaltung des Betriebes bzw. des Gaues, welche verschiedene Industriezweige in ihre Hände zu bekommen versuchen.
Die Vorgänge rund um die Arisierung des Schuhhauses Spitz in der Herrengasse durch Herrn Baumgartner aus Krems zeigen, dass die brutale Gier auch zu großen Rivalitäten unter den Parteimitgliedern selbst führte.
Es "kam Herr Moschitz in das Gauwirtschaftsamt und teilt mit, dass er Interessent für das Geschäft Spitz sei und dass er sich aufs Schwerste zurückgesetzt fühle. Herr Moschitz sagte, dass er sich dies auf keinen Fall bieten lassen werde, dass er zu sämtlichen Parteistellen gehen werde, um seine Beschwerde vorzubringen, um so zu seinem Recht zu kommen. Er habe jetzt eine wesentlich schwerere Situation als früher, wo er darauf hinweisen konnte, dass Spitz Jude sei. Jetzt wo der Betrieb in arischen Händen liegt, sei er durch die Konkurrenz eben dieses Betriebes fast erschlagen."
Der Vorgang der Arisierung ist zwar durch die Akten der Vermögensverkehrsstelle dokumentiert. Jedoch ist die Durchsicht dieser oft ernüchternd. Die Akten bestehen in der Hauptsache aus bürokratischen Formularen, Zahlen und Berechnungen über den angeblichen Wert der jüdischen Unternehmen. Die menschlichen Tragödien, welche sich dabei abgespielt haben, sind nur ansatzweise spürbar, da die jüdischen Inhaber selbst kaum mehr zu Wort kommen.
Finden sich in den Akten bis November 1938 noch Kauf- und Mietverträge, die als korrekt bezeichnet werden können, so ändert sich mit der "Reichskristallnacht" die Situation radikal. Die jüdischen Besitzer wurden verhaftet und in das KZ transportiert. In der Zwischenzeit wurden die Frauen gezwungen, den Kaufvertrag zu unterschreiben. Gleichzeitig wurden viele Warenlager geplündert und ein großer Teil der Firmen liquidiert. Der Mürzzuschlager Ignaz Eisler berichtete 1948 in einem Brief: "Herr Haas bekam nach Dachau den Kaufvertrag zum Unterschreiben. Monatliche Zahlung von 200 RM,
da er noch immer die Steuern zahlen musste. Im März 1940 hätte Franz Haas ausreisen können. Da schrieb er an Pfandl, er soll ihm für die Ausreise RM 5000 schicken. Er schrieb zurück, dass er sich in Langenwang eine Villa gekauft hat und das Geld daher brauche." Franz Haas und seine Frau kamen nach Auschwitz und wurden dort 1942 ermordet.
Nach dem Pogrom wurden zuvor vereinbarte Ratenzahlungen nicht mehr eingehalten. Der zumeist beschämende Kaufpreis wurde nicht an die jüdischen Besitzer ausbezahlt, sondern landete auf einem Sperrkonto, von wo bei geglückter Ausreise oft der Löwenanteil des Betrages in Form der "Reichsfluchtsteuer" und der Vermögensabgabe abgezogen wurde.
Die Arisierung betraf lediglich jenen Teil der Betriebe, die als rentabel galten. Die Mehrzahl der kleineren und unrentableren Unternehmungen wurden nicht arisiert, sondern einfach liquidiert. Diese Geschäftsauflösungen wurden oft von jenen "arischen" Geschäftsinhabern betrieben, welche sich damit Konkurrenzunternehmen vom Hals schaffen wollten.
So bewarb sich ein ehemaliger Vorarbeiter um die Arisierung der Firma Salzman, was aber von einem Berufskollegen aus der Nachbarschaft verhindert wurde.
"Aufarbeitung" seit 1945
Unmittelbar nach Kriegsende flüchtete ein Teil der Bevölkerung in Selbstmitleid und die Rolle eines unschuldig verführten Opfers. Was in der Zeit zwischen 1938 und 1945 geschehen war, davon wollte man nichts mehr wissen. Die jüdischen Geschäftsinhaber, die in den Jahren nach dem Krieg zurückkehren wollten, bekamen dies zu spüren. Die individuelle Haltung der Verdrängung fand in der offiziellen Politik ihre Entsprechung. Vertriebene Juden wurden nicht zur Rückkehr eingeladen, und in der Frage der Rückgabe und Entschädigung für zuvor geraubtes Vermögen wurde eine Hinhaltetaktik entwickelt, die Minister Helmer am 9. November 1948 mit der bereits zum geflügelten Wort gewordenen Phrase umriss. "Ich bin dafür, die Sache in die Länge zu ziehen."
Dies bedeutete unter anderem, dass die Opfer selbst aktiv werden mussten, zumeist unter Einhaltung von Fristen, welche für im Ausland Lebende oft unüberwindbare Hürden darstellten. War es für sie nicht möglich, zeitgerecht ihre Ansprüche geltend zu machen, so hatten sie doppeltes Pech, während den Nutznießern scheinlegaler Verträge ein zweites Mal die Gunst der historischen Stunde zugute kam. Es konnte sogar so weit kommen, dass der ehemalige jüdische Besitzer seinem Ariseur den Kaufpreis zurückerstatten musste, selbst wenn er davon durch die ihm auferlegten Steuern nie etwas gesehen hatte.
Die Nutznießer der Arisierung empfanden sich durch Rückstellungsverfahren als Opfer und gründeten einen eigenen "Verband der Rück-stellungsbetroffenen" mit Forderungen wie "Wiedergutmachung für die uns zugefügten Schädigungen." In ihrer Verbandszeitung stellten sie - in eindeutig antisemitischer Diktion - den Erwerb jüdischen Eigentums als redlich dar und bezeichneten sich als Lebensretter. Die Tochter der ermordeten Mürzzuschlager Familie Haas, Emma Schönberger dazu: "Er (der Ariseur) betont, wie ja alle Österreicher, wie anständige Menschen sie sind, er und sein Schwiegervater, was sie alles verloren haben, was man ihnen alles genommen hat usw."
Die "Rückstellungsgeschädigten" suchten und fanden in der Politik Verbündete. Vor allem Dr. Alfons Gorbach machte sich zu einem Vorreiter einer Politik des Entgegenkommens gegenüber ehemaligen Nationalsozialisten. Er intervenierte immer wieder bei Anwälten der das Rückstellungsverfahren betreibenden Partei. So auch im Fall Haas, "da ein solcher Streit in Mürzzuschlag für beide Teile höchst unangenehm sein würde und es sich um die Existenz eines Kaufmannes handelt".
In die Länge gezogen wurde die "Wiedergutmachung" tatsächlich. 60 Jahre danach beginnt das offizielle Österreich sich seiner Geschichte zu stellen. Höchste Zeit also, dass auch die Steiermark sich der Aufarbeitung dieses dunklen Teils ihrer Geschichte annimmt.