Ausgabe

Resignation erleichtert das Leid nicht

Monika Kaczek

Inhalt

Urs Hardegger: Für einen Pass und etwas Leben. Roman.

Zürich: Verlag Nagel & Kimche.

240 Seiten, gebunden, Euro 25,70.–

ISBN: 978-3-312-01262-6

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Der dokumentarische Roman des Schweizer Literaturwissenschaftler Urs Hardegger handelt vom Schicksal dreier jüdischer Flüchtlinge, die während des Nationalsozialismus auf abenteuerliche Weise in die Schweiz gelangen konnten. Der Autor erzählt einfühlsam die Geschichten der Personen, die mit der unmenschlichen Bürokratie der Schweiz konfrontiert wurden, und verknüpft die drei Erzählstränge zu einem einheitlichen Gesamtbild. 

Die Handlung beginnt 1942 mit der Hauptperson, der verwitweten Fanny Hirsch, die 1938 von Dresden nach Genf fliehen konnte, wo sie bei einer Hilfsorganisation für jüdische Flüchtlinge arbeitete. Aufgrund ihrer Eheschliessung mit dem Schweizer Armand Schulthess wurden ihr ein Pass und das Bleiberecht gewährt. Doch nach der Scheidung des Paares versuchte die Schweizer Fremdenpolizei, aus Fanny Schulthess wieder eine Fanny Hirsch zu machen und ihr den Schweizer Pass abzunehmen:

„Mit der Schweizer Fremdenpolizei hatte Fanny ihre Erfahrungen gemacht. Sie wusste nur zu gut, wie sie funktionierte. Schikanen, die in gewisser Hinsicht zum Wesen jeder Polizei gehören, beherrschte diese bis zur Perfektion. Es war nicht nur Pedanterie oder die Flegelhaftigkeit einzelner Beamter. Das Ganze hatte System. Man wollte abschrecken, damit Flüchtlinge gar nicht auf die Idee kämen, die Flucht in die Schweiz zu versuchen. Jeder Flüchtling, der nicht Schweizer Boden betrat, war ein guter Flüchtling.“ (S. 36).

 

Ein weiteres Schicksal zeigt der Lebensweg des niederländischen Studenten Huug van Dantzig, dem die Flucht aus einem Internierungslager des Schweizer Ortes Cossonay zur Südgrenze der Schweiz gelang. Dort wollte er sich den alliierten Truppen, die sich auf dem italienischen Festland auf dem Vormarsch befanden, anschliessen.

 

Rabbiner Shaul Weingort, der dritte Protagonist des Romans, stammte aus dem polnischen Teil Schlesiens und studierte in Berlin an einer Thora- und Talmud-Schule. Wenige Wochen vor Beginn des Zweiten Weltkriegs konnte er ein Transitvisums für die Schweiz erhalten, wo er als Lehrer in der einzigen Jeschiwah des Landes tätig werden konnte. Von dort aus versuchte er verzweifelt Familienangehörige und Bekannte mit pro forma-Pässen aus dem Warschauer Ghetto zu retten:

„Gründe, den Mut zu verlieren, die Hoffnung aufzugeben, alle Anstrengungen für vergeblich zu halten, gäbe es genug. Doch Resignation erleichtert das Leid nicht, vergrössert es nur. Nein, Shaul würde die Hoffnung nicht aufgeben, würde auch in den dunkelsten Tagen weiterhin alles menschenmöglich tun, damit das Volk, das den Namen G’ttes als erstes öffentlich verkündete, nicht untergehe (...).“ (S. 210)

 

Dem Autor gelang eine „beeindruckende, vielschichtige Lektüre, die verdeutlicht, welche Gefahren und Anstrengungen es mit sich brachte, Juden aus Deutschland und den besetzten Gebieten in Sicherheit zu bringen, und die einen unrühmlichen Blick auf das Verhalten der Schweizer Behörden in Bezug auf jüdische Flüchtlinge wirft. Bei den Protagonisten handelt es sich um reale Personen. Im Anhang sind Stammbäume und ein umfangreiches Personenverzeichnis abgebildet. Im Roman eingefügte Beschreibungen der Recherchearbeit des Autors unterstreichen die wahren Hintergründe und den Ernst der Geschehnisse. Allen Büchereien mit geschichtsinteressierten Leser/-innen sehr empfohlen.“1

 

Anmerkung

 

1 https://www.urshardegger.ch/_files/ugd/674bf5_9ea3bce435ab4676bb6eaadd279ee9c6.pdf (12.07.2023).

 

 

 

 

 

 

Zum Autor

Nach dem Besuch einer Kaufmännische Berufsmittelschule und der Matura war Urs Hardegger (geb. 1957) zunächst als Lehrer tätig. Im Anschluss an ein Studium der Erziehungswissenschaften wurde er Dozent an Pädagogischen Hochschulen, später initiierte und leitete er eine private Primar- und Sekundarschule.
Im Rahmen seiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Historische Bildungsforschung der PH Zürich entstanden seine ersten Publikationen (Auswahl): Zukunft bilden. Die Geschichte der modernen Zürcher Volksschule (2008), Die Akte der Luisa De Agostini. Eine Frau zwischen Wohlfahrt und Bevormundung (2012), Es gilt die Tat (2017), Spanische Erde. Vier Schweizer gegen Franco (2019).