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DAVID im Gespräch mit dem früheren Vizekanzler Dr. Erhard Busek

Alfred GERSTL

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Im März dieses Jahres feierte der ehemalige Vizekanzler und ÖVP-Bundesparteiobmann Dr. Erhard Busek seinen 70. Geburtstag. Aus diesem Anlass führte David mit ihm ein ausführliches Gespräch, das thematisch und geografisch von Österreich über Südosteuropa bis zum Nahen Osten reichte.

Während seiner aktiven Zeit als Politiker galt Erhard Busek als Intellektueller und liberaler Reformer. Diesen Ruf verdiente er sich vor allem aufgrund seiner Aktivitäten als Wiener ÖVP-Chef (1976-1989) und Vize-Bürgermeister (1978-1987), der mit seiner Initiative „Bunte Vögel" kritische, unabhängige Menschen ansprach und als einer der ersten heimischen Politiker ökologische Fragen thematisierte.

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Der frühere Vizekanzler und ÖVP-Bundesparteiobmann Dr. Erhard Busek. Mit freundlicher Genehmigung: IDM.

„Eine offene Position gehört zur Stadt" und „Stadt bedeutet permanente Veränderung", erläutert Busek im Gespräch. Eine liberale Einstellung hat er auch in religiösen Fragen: Aus einem protestantisch-katholischen Elternhaus stammend, vertritt er seit je ein weltoffenes Christentum. Anders als viele Kommunalpolitiker unterlegte Busek seinem Handeln auch immer einen breiten geografischen Fokus, und so engagierte er sich sehr früh für Demokratisierung und Liberalisierung in Mittelosteuropa und unterstützte aktiv die damalige Dissidentenszene.

Von 1991 bis 1995 stand er der ÖVP als Bundesparteiobmann vor. Neben seiner Funktion als Vize-kanzler amtierte er als Minister für Wissenschaft und Forschung (1989-1994) und Unterricht und kulturelle Angelegenheiten (1994/95). Nach interner Kritik an seinem Kurs trat Busek 1995 zurück, worauf ihm Wolfgang Schüssel, der unter ihm Wirtschaftsminister gedient hatte, als Parteichef und Vizekanzler nachfolgte. In Mittelosteuropa fand Busek nach seinem Ausscheiden aus der österreichischen Politik ein für ihn bestens geeignetes Betätigungsfeld, zuerst als Koordinator der Südosteuropäischen Kooperationsinitiative (SECI), dann als Beauftragter der Europäischen Union für den Stabilitätspakt für Südosteuropa. Seit 1995 ist er Leiter des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM) in Wien, das sich wissenschaftlich mit der Situation in dieser Region beschäftigt.

Zuletzt hat sich Busek gemeinsam mit anderen verdienten ehemaligen Politikern wie Heinrich Neisser, Friedhelm Frischenschlager und Andreas Wabl aktiv für mehr Demokratie in Österreich eingesetzt; es fehle an Reformen, Mut und Visionen. Im Gespräch kritisierte Busek die Selbstblockade und Untätigkeit der heimischen Politik. Um diese zu überwinden, müsse der Kontakt zwischen Bürgern und Politikern gestärkt werden. Als Mittel dafür sieht er ein neues Persönlichkeitswahlrecht, wobei er die Direktwahl der Bürgermeister als positives Beispiel hervorhebt.

  

Die Revolutionen in Mittelosteuropa 1989

Österreich hat nach 1945 aufgrund seiner geografischen, geschichtlichen und mentalen Nähe zu Mittelosteuropa immer grossen Anteil am Schicksal seiner unter dem Kommunismus lebenden mittel-osteuropäischen Nachbarn genommen. Sehr früh hat sich auch Erhard Busek für Dissidenten in unserer Nachbarschaft engagiert. Eine prägende Erinnerung - und eine Art Auftrag zugleich - war für ihn die Bitte eines tschechischen Freundes nach der Niederschlagung des Prager Frühlings, bei dem er selbst die Hoffnungen und Hoffnungslosigkeit der Bevölkerung miterlebt hatte: „Du sollst das nicht vergessen!"

Auf die Frage, inwieweit ihn die Ereignisse des Revolutionsjahres 1989 überrascht hätten, meinte er, es habe schon seit längerem „Rostlöcher im Eisernen Vorhang" gegeben. „Ich habe deshalb schon einige Zeit vorher gespürt, dass sich einiges bewegt, aber dass es bereits 1989 zum Umsturz kam, war dann doch überraschend." Auch wenn das genaue Datum der Volksaufstände nicht vorhersehbar war, ist Westeuropa 1989 laut Busek doch viel zu schlecht auf den Umsturz vorbereitet gewesen. Von den 1970er Jahren an, also lange vor Michail Gorbatschows glasnost und perestroika, habe Polen eine führende Rolle gespielt: „Ich bin bei einem Besuch in Polen zufällig zum Gründungskongress der Solidarnosc gestossen. Lech Walesa und all die anderen nach dem Umsturz führenden Politiker waren damals dabei. Es herrschte eine bemerkenswerte Aufbruchsstimmung." 

Seit dem Umbruch hat Mittelosteuropa eine sehr positive wirtschaftliche wie politische Entwicklung durchlaufen. Beispielhaft sei, dass es an der derzeitigen EU-Wirtschaftskrise keinerlei Schuld trage. Etwas wehmütig sieht Busek, dass die mittelosteuropäischen Gesellschaften zu rasch den Idealen der westlichen Konsumwelt nachgelebt hätten. Auch mangle es manchmal noch an der Aufarbeitung der eigenen Geschichte, namentlich in Ungarn, wo Nationalismus und Antisemitismus heute wieder auflebten. Die ehemals „fröhlichste Baracke des Ostblocks" habe immer eine Sonderstellung im Ostblock genossen und nach 1989 entsprechende Startvorteile besessen, doch, so Busek, habe Budapest in den 1990er Jahren den Anschluss an die Nachbarländer verloren. Kritisch hebt der Ost- und Südosteuropa-Experte aber auch hervor, dass in Europa vielfach noch das Wissen über diesen Teil Europas fehle. Zudem seien mittelosteuropäische Politiker in den EU-Institutionen immer noch unterrepräsentiert.

Eine andere Entwicklung durchlief Südosteuropa nach den Kriegen in den 1990er Jahren. Einerseits gäbe es zwar eine neue politische - und geografische - Landkarte; andererseits finde keine Aufarbeitung der Vergangenheit statt. Vielmehr instrumentalisierten die Regierungen mitunter vergangene Konflikte für die aktuelle Politik, unterstreicht Busek und verweist auf die territorialen Streitigkeiten zwischen Slowenien und Kroatien. Die Hoffnung des langjährigen EU-Südosteuropa-Beauftragten liegt auf der Jugend: Während Regierungspolitiker immer noch argumentierten, Kosovo sei „serbischer Boden", stelle dieser Konflikt für die Jugend einfach kein Thema dar. 

Der arabische Frühling 2011

Ein fundamentaler Umbruch wie 1989/91 Mittelosteuropa erfasst zur Zeit die arabische Welt. Parallelen sieht Busek dennoch nicht - zu unterschiedlich seien die jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Hintergründe. Abgesehen von Iran handle es sich im Nahen Osten um nicht-ideologische, jedoch autoritäre Regime. Der Westen, so Busek, habe sich mit diesen arrangiert, besonders habe dies für die Beziehungen zu Libyen unter Ghadhafi gegolten. Er betont, wie sehr der arabische Frühling sämtliche Beobachter überrascht habe.

In Bezug auf Israel streicht der ehemalige Vizekanzler hervor, dass nach dem Camp David-Abkommen von Begin und Sadat eine grosse Chance vergeben worden sei, den Konflikt endgültig zu lösen. Danach sei politisch wenig weitergegangen, auch der vom damaligen US-Präsidenten Bill Clinton angestossene Friedensprozess habe die Erwartungen letztlich nicht erfüllt. Israel sieht er heute aufgrund von zwei Entwicklungen besonders unter Druck: einerseits die hohe Geburtenrate der Palästinenser, andererseits bleibe Gaza, das von der Hamas beherrscht wird, ein Pulverfass, das noch nicht entschärft worden sei.

Auf die Frage, ob Österreich politisch noch aktiv eine Rolle im Mittleren Osten, etwa als Vermittler, spielen könne, blickt Busek auf den früheren Bundeskanzler Bruno Kreisky zurück. „Damals hatte Österreich als neutrales Land noch einen grösseren Spielraum, heute sind wir in die EU eingegliedert und Teil von dessen Politik." Ein weiterer Grund für die aktive Nahost-Politik in den 1970er und frühen 1980er Jahren war laut Busek: „Kreisky war überzeugt, der bessere israelische Aussenminister zu sein, und hat gerne israelischen Politikern die Welt erklärt." Kreiskys oftmals Israel-kritische und pro-palästinensische Politik führt Busek auf dessen politischen Erfahrungen im Österreich der 1930er Jahre mit Autoritarismus und Antisemitismus (der seinerzeit ja auch innerhalb der Sozialdemokratie von einigen Politikern vertreten worden ist; Anm. A.G.) zurück, die er nur unvollständig bewältigt habe. Dem Westen, so kritisiert Busek abschliessend, fehle eine aktive Strategie zur Lösung der Probleme im Nahen Osten, weshalb die Zeichen für ihn insgesamt eher auf Konflikt als Frieden stehen.