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"Fels meines Heiles"

Ferdinand DEXINGER

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Nachdem die Makkabäer ihr Ziel der Wiedereinweihung des Tempels erreicht hatten, und das sich entwickelnde Priesterkönigtum der Hasmonäer etabliert war, konnten sich die Juden in Eretz Israel relativer Ruhe und Sicherheit erfreuen. So gesehen kann Hanukka auch einmal Anlaß dafür sein, darüber nachzudenken, was es denn mit der Sicherheit auf sich hat und wie die jüdische Religion im besonderen und die biblischen Religionen im allgemeinen diesen für die Lebensbewältigung so wichtigen Sachverhalt umgehen.
Sicherheitsdenken auf allen Linien bestimmt das zeitgenösssische Lebensgefühl. Zwar müssen Österreicher, wenn es etwa um die Pragmatisierung geht, nicht selten journalistische Rügen für ihr angeblich überproportionales Sicherheitsdenken einstecken. Dieselben kritisierenden Personen handeln für sich selbst aber recht sichere Verträge aus, wenn es um ihre eigene berufliche Absicherung geht. Es ist also offenbar doch so, daß Menschen ganz allgemein, in dem, was man Sicherheit nennt, einen großen Lebenswert sehen. Die Lebensbereiche, die man gesichert sehen möchte, sind meist solche des konkreten materiellen Lebens, für die man eine Versicherungspolizze erhalten kann. Eine wichtige Rolle spielt auch der Begriff Sicherheit in der Politik und noch mehr im militärischen Bereich. Ausgaben für die Rüstung stehen politisch fast immer unter dem Vorzeichen der Sicherheit. Allerdings gibt es nur ein Faktum das völlig unangefochten und universell ohne jeden zweifelnden Dialog für jeden Menschen als sicher gilt, nämlich der Tod.
Um die verschiedenen Dimensionen dessen zu begreifen, was Sicherheit ausmacht, lohnt es sich, die Wortbedeutung relevanter Ausdrücke ein wenig unter die Lupe zu nehmen. Das deutsche Wort "Sicherheit" ist ein Lehnwort und kommt aus dem Lateinischen: "securus"- se (=sine) cura: also: "ohne Sorge". Die Westgermanen haben im 5.Jh. n.Chr. diesen Ausdruck aus dem Lateinischen übernommen und damit ursprünglich einen juridischen Sachverhalt, nämlich das Freisein von Schuld und Strafe bezeichnet. Erst später erhält der Ausdruck die Bedeutung "unbesorgt, geschützt, zuverlässig." In Italien ist seit dem 14.Jh. das Verbum "sicurare" für die Versicherung von Schiffen belegt.
Was Cicero über die Sicherheit, die "securitas" sagt, ist sehr einleuchtend. Er beschreibt den Sachverhalt im existenziellen Sinn als:

"... den Seelenzustand, der als Freiheit von Schmerz und Unwohlsein, die Voraussetzung eines glücklichen Lebens ist." ("securitatem nunc appello vacuitatem aegritudinis, in qua vita beata posita est." (Tusc.disp. V,14,42).

Es ist klar, daß dieser Seelenzustand nicht nur das Resultat spirituellen Trainings ist, sondern auch objektive Voraussetzungen hat. Das Versprechen, solche Voraussetzungen zu schaffen, ist nicht zuletzt in Zeiten des Wahlkampfes ein wichtiger Bestandteil politischer Sprache. Dabei bleibt naturgemäß der Hinweis darauf ausgespart oder es wird als selbstverständlich vorausgesetzt, daß es im letzten Kern keine irdische Sicherheit gibt.
Die Offenbarungstexte der drei biblischen Religionen setzen das Grundbedürfnis des Menschen nach Sicherheit als selbstverständlich voraus. Dabei kommt allerdings den materiellen Voraussetzungen, nicht zuletzt wegen ihrer Brüchigkeit, keine Hauptrolle zu. Sicherheit ist ja ganz wesentlich auch ein Seelenzustand.
Sozusagen die Brücke zwischen realen Gegebenheiten und dem die seelische Sicherheit begründenden Voraussetzungen formuliert der schon zitierte Cicero:

"Glücklich sein kann man nur auf Grund eines beständigen, festen und dauerhaften Gutes."

Dieses Bewußtsein prägt nicht zuletzt den bekannten Hanukka-Hymnus: "Maoz zur jeshuati". Der feste und dauerhafte Felsen, auf den jede Rettung gebaut ist, ist der Gott Israels, wie Psalm 89,27 zeigt, den dieser Hanukka-Hymnus zitiert:

"Mein Vater bist du, mein Gott, der Fels meines Heiles."

In der biblischen Sprache ist diese existenzielle Verankerung in Gott mit den hebräischen Ausdrücken le-hä’ämin (eigentlich: festmachen) und batach (sicher sein) verbunden. Von seiten des Menschen bedeutet hä’ämin eine Gottesbeziehung, die den ganzen Menschen in der Gesamtheit seines äußeren Verhaltens und seines Innenlebens erfaßt. Ein ganz ähnlicher Sprachgebrauch ist im Arabischen bzw. im Islam gegeben. Die arabischen Ausdrücke für Glaube und Sicherheit sind beide von der Wortwurzel "aman" gebildet. Das arabische Zeitwort "amina" heißt "sicher sein, verläßlich sein". Die davon gebildete Zeitwortform "amana" bedeutet wörtlich "etwas sicher machen, etwas als sicher, verläßlich ansehen = glauben". Von dieser spirituellen Haltung der Muslime ist auf nahezu jeder Seite des Koran die Rede. Der Gläubige (=Mumin) ist auch der Muslim (von dem arab. Zeitwort "alsama"=sich ganz hingeben). Der Muslim ist also derjenige, der sich Gott ganz hingibt, indem er der Religion, die der Prophet verkündet hat, angehört.
Aus dieser inneren Einstellung empfängt der Muslim auch vollständige Sicherheit, in der Hand Gottes geborgen zu sein, der sein Schicksal in Händen hält. Im Grunde gibt es für den Muslim keine andere Sicherheit als diese.
Dabei kommt einem unwillkürlich auch das Wort des Neuen Testaments in den Sinn:

"Sorget nicht um das Leben, was ihr essen, noch um den Leib, was ihr anziehen sollt. ... Betrachtet die Raben, sie säen nicht, sie ernten nicht ... und Gott ernährt sie . Wieviel mehr seid ihr wert, als die Vögel. ... Suchet vielmehr sein Reich, und alles wird euch dreingegeben werden. (Lk 12,22-31).

Der enge Zusammenhang zwischen dem menschlichen Glaubensakt und der Wirklichkeit Gottes auf der einen Seite und der menschlichen Grundkategorie der Sicherheit auf der anderen ist aus biblischer Sicht in der Verläßlichkeit Gottes begründet:

"Daran sollst du erkennen: Jahwe, dein Gott, ist der Gott; er ist der treue Gott; noch nach tausend Generationen achtet er auf den Bund und erweist denen seine Huld, die ihn lieben und auf seine Gebote achten." (Dtn 7,9)

Ganz knapp formuliert der Prophet Jesaja diesen Sachverhalt:

"Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht." (Jes 7,9)

Damit ist die Identität von Glaube und Existenz ausgesprochen. Im Glauben selber liegt die besondere Seinsweise und der Bestand des Gottesvolkes und nicht im Vertrauen auf Menschenmacht. Indem durch das Vertrauen auf Gott jede Furcht eliminiert ist, ist auch ultimative Sicherheit gegeben.Die Weisheit des Tanach formuliert das ganz knapp:

Wer aber auf mich hört, wohnt in Sicherheit, ihn stört kein böser Schrecken. (Spr 1,33)

Das rabbinische Judentum hat auf der Grundlage des Tanach diese zentralen religiösen Haltungen weiter vermittelt. "Emuna" ist im rabbinischen Judentum nicht auf die theoretische Anerkennung der Existenz Gottes beschränkt. Vielmehr liegt der Hauptakzent auf der Anerkennung der unaufhörlich bestehenden Beziehung zwischen Gott, der Welt und seinen Geschöpfen. Emuna ist die Sicherheit im Hinblick auf die Tatsächlichkeit der göttlichen Vorsehung. Bezieht sich also auf das Leben. Dieser Glaube wird beim Menschen durch seine Gottesliebe und Gottesfurcht sichtbar und fruchtbar.
In einem frühen halachischen Midrasch werden Rabbi Nehemiah folgende Worte in den Mund gelegt:

"Jeder, der aus Emuna (auch nur) ein Gebot hält, der verdient es, daß der heilige Geist auf ihm ruht ." (Mekh, wayyehi 6,114)

Die jüdische Spiritualität in diesem Bereich ist sehr klar zusammengefaßt in dem wichtigen mittelalterlichen Werk "Buch der Herzenspflichten, das von Bahya ibn Paquda (11.Jh.) vefaßt wurde:

"Was dem Gottergebenen als unumgängliches Erfordernis sich aufdrängt, ist nämlich das: Das Vertrauen auf Gott in jeglichem Verhältnis, dieweil ihm dies, sowohl in religiöser als weltlicher Beziehung die bedeutendsten Vorteile gewährt. In religiöser Beziehung frommt es ihm: durch die Ruhe des Gemütes, und die auf Gott sich stützende Sicherheit, deren er gleich dem Diener sich erfreut, der pflichtmäßig in allem auf seinen Herrn sich verläßt; da derjenige, welcher nicht auf Gott vertraut, jedenfalls auf einen andern Gegenstand seine Zuversicht gründet, und wer auf etwas anderes, als auf Gott vertrauet, dem entzieht der Herr seine Fürsorge und überläßt ihn der Gewalt desjenigen, dem er sein Zutrauen zugewendet hat." (IV, Einleitung. Stern 187).