In einem Beitrag in der Zeitschrift Biblos (Jg. 30, 1981) erinnert Ronald Zwanziger an Norbert Jokl, einen Albanologen und Bibliothekar, dessen Todestag vor kurzem zum sechzigsten Mal wiederkehrte. Norbert Jokl wird am 25. Februar 1877 als einziges Kind einer Kaufmannsfamilie in Bzenec/Bisenz (Südmähren) geboren.
Foto: Indogermanisches
Jahrbuch XXVIII (1949)
Nach dem Ablegen der mit Auszeichnung bestandenen Matura immatrikuliert er an der Universität Wien, wo er am 23. Juli 1901 summa cum laude zum Dr.iur. promoviert. Für kurze Zeit ist er als Rechtspraktikant tätig, doch beschließt, wie er in seinem Lebenslauf als Beilage zu einem späteren Habilitationsansuchen schreibt, "(...) der Jurisprudenz dauernd Valet zu sagen und mich ganz dem Studium der Sprachwissenschaft zu widmen." Er belegt die Fächer Indogermanistik, Slavistik und Romanistik - schließt auch hier mit Auszeichnung ab. Um sich sein Zweitstudium zu verdienen, wird er im Spätherbst 1903 Praktikant an der k.k. Universitätsbibliothek Wien. Im Alter von 30 Jahren lernt er autodidaktisch Albanisch und ist ab 1913 als Privatdozent für "Indogermanische Sprachwissenschaft mit besonderer Berücksichtigung des Albanischen, Baltischen und Slavischen" tätig. Zehn Jahre später wird er a.o. Professor, 1937 Hofrat. Er verfasst zahlreiche Werke - so erscheint ab 1919 jährlich ein ausführlicher Literaturbericht zur albanischen Sprache in der Fachbiographie Indogermanisches Jahrbuch - und gilt als anerkannte Kapazität. Am 26. April 1933 veröffentlicht die Neue Freie Presse einen Sensationsbericht über ein Drama: Der Gelehrte als Mörder und Selbstmörder. Der Privatdozent Franz Baron Nopcsa, ein anerkannter Paläontologe und Albanologe, erschießt zunächst seinen Sekretär und richtet sich anschließend selbst. Auf schriftlichen Wunsch des Barons geht der albanologische Teil der Hinterlassenschaft an Norbert Jokl.
Die Situation in Deutschland ab 1933 beeinträchtigt Jokls Schaffen: Manuskripte werden abgelehnt (unter anderem vom genannten Indogermanischen Jahrbuch) und Einladungen zu Vorträgen zurückgezogen. Nach dem "Anschluß" Österreichs wird er am 20. Mai 1938 seines Dienstes enthoben, am 19. Juni in dauerhaften Ruhestand versetzt und verliert sämtliche Universitätsverpflichtungen. Als Träger des "Judensterns" darf er seine ehemalige Wirkungsstätten nicht mehr betreten. Viktor Christian, Dekan der Philosophischen Fakultät und späterer Rektor der Universität Wien, setzt sich zunächst dafür ein, dass Jokl seinen Posten beibehalten soll, doch ohne Erfolg. Auch ein Gesuch um Gleichstellung mit "Mischlingen 1. Grades" wird abgelehnt. Jokl möchte nach Albanien auswandern, aber selbst eine Intervention des italienischen Außenministeriums beim Auswärtigen Amt in Berlin bringt nicht die benötigte Ausreisebewilligung. In einem Gesuch bittet Jokl auch um die Mitnahme seiner Bibliothek, sehr zum Missfallen von Dekan Christian, der, wie Vertreter anderer Institutionen, an der umfangreichen Sammlung interessiert ist. Im Mai 1943 gelangen Bibliothek und Nachlass Jokls in die Nationalbibliothek Wien.
Im März 1942 wird Jokl in seiner Wohnung von zwei Gestapobeamten verhaftet und in das Sammellager in der Castellezgasse gebracht. Über sein Schicksal gibt es unterschiedliche Aussagen: entweder wird er mit einem Sammeltransport nach Minsk deportiert oder er stirbt an Misshandlungen in der Wiener Roßauer Kaserne. Andere Quellen sprechen von Selbstmord aus Verzweiflung oder vom Abtransport in ein Lager nach Riga. Am 29. April 1982 beschließt der Senat der Universität Wien, dass Norbert Jokls Name in die Ehrentafel der Universität eingetragen wird.