Ausgabe

Friedl Dicker (1898–1944) Zur Ausstellung im Linzer Lentos Museum

Stephan Templ

Friedl Dicker (1898–1944) ist dank der vielen von Georg Schrom kuratierten Ausstellungen längst eine wohlbekannte Grösse in der Kunst und Architekturgeschichte. Sie war nicht nur eine der wenigen österreichischen Schülerinnen am Bauhaus in Weimar, sie war nicht nur eine der herausragendsten Figuren der Wiener Moderne vor 1934, sie erlangte vor allem Bekanntheit als Zeichenlehrerin und  Kunsttherapeutin im KZ Theresienstadt.
 

Inhalt

h132_78.jpg

Blick in die Ausstellung. Foto: Lentos Museum Linz, mit freundlicher Genehmigung.

Die Linzer Ausstellung zeichnet die Stationen von Friedl Dickers Wirken minutiös nach: die gemeinsame Atelierzeit mit dem Architekten Franz Singer (1896–1954). Damals im Wien der Zwanziger Jahre, im Wien der zweiten Biedermeier-Rezeption, im „Roten Wien“ mit seinem Hang zum expressiven Pathos trat sie diesen Phänomenen mit einer unsentimentalen Materialsprache entgegen. Singer und Dicker verwandelten den Raum durch Klappen, Stapeln und Herausdrehen der Möbel, sie nahmen dem Raum sein ruhendes Moment, machten ihn mobil.  

h132_201251n2.jpg

h132_201251.jpg

Tag, Nacht: Dachausbau Elsa und Erwin Reisner, Wien 18, Koschatgasse
110, „arisiert“ durch Berta Florsch. Unter einem Podest lässt sich
nachts das Doppelbett samt Nachttisch herausdrehen, tagsüber verwandelt
sich das Podest in eine Sitzecke vor einem grossem Fenster
mit Wienblick. Fotos: Georg Schrom, mit freundlicher Genehmigung.

 

Friedrich Achleitner schreibt zum Schicksal der Architektengemeinschaft:
„So gehört es zur tragischen Ironie dieses Werkes, dass alles, was mit dem Ort verbunden war, zerstört wurde, ausgerottet mit dem unbestechlichen Instinkt für jene Qualitäten, die das eigene Denken in Frage stellen könnten. Die Arbeiten Friedl Dickers und Franz Singers repräsentierten eine Kultur, deren Vertreibung und Vernichtung schon lange beschlossen war. Wer als junger Mensch in den fünfziger Jahren noch die Ruine des „Gästehauses Heriot“ in der Rustenschacher Allee gesehen hat, glaubte nicht einer Vergangenheit, sondern der Zukunft begegnet zu sein.“

 

Die Ateliergemeinschaft löste sich etwa 1932 auf. Friedl wird aufgrund ihrer kommunistischen Aktivitäten inhaftiert und verlässt nach ihrer Haftentlassung 1934 Österreich, zieht nach Prag und widmet sich nun ganz der Malerei. Nach der Besetzung der Tschechoslowakei durch die Nazis emigriert, respektive flüchtet, sie nicht: ihr Mann Pavel Brandeis (1905–1971) will bleiben.
Das Ehepaar harrt vorerst im ostböhmischen Hronov aus, wird 1942 nach Terezín (dt. Theresienstadt) deportiert. Im September 1944 wird Pavel nach Auschwitz deportiert, Friedl meldet sich „freiwillig“, um ihm zu folgen. Sie kommt um, er überlebt. 

Ihr Spätwerk war ein kunstherapeutisches, sie malte mit den Kindern des Mädchenheims im Lager Terezín. Hunderte bunte Blätter haben überlebt, sie können im Jüdischen Museum Prag bestaunt werden.

Ausstellung, Lentos Kunstmuseum Linz, bis 29.05.2022:

h132_201251n4.jpg

Friedl Dicker: Das Verhör, 1934. Titelbild des Ausstellungskatalogs
Lentos Museum 2022, mit freundlicher Genehmigung.

h132_201251n3.jpg

Nely Silvinová (1931-1944), Ohne Titel (Abstrakte Komposition),
1943/44, Collage auf Papier. Jüdisches Museum Prag, Inv.Nr. 130.951.
Quelle: Lentos Museum Linz Katalog, mit freundlicher Genehmigung.


Friedl Dicker-Brandeis
Bauhaus-Schülerin, Avantgarde-Malerin, Kunstpädagogin
Katalog unter demselben Titel:
München Hirmer Verlag 2022
272 S., gebunden, zahlreiche Abb., Euro 38,00.-
ISBN: 978-774-3846-7