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Eine merkwüdige Position in einem spätmittelalterlichen-frühzeitlichen Zolltarif

Wolfgang HAIDER-BERKY

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Im südlichen Niederösterreich, am Fuße des Semmerings, liegt der kleine Markt Schottwien. Bis vor wenigen Jahren rollte der gesamte Verkehr über den Semmering durch den Ort. Eine Überquerung der Straße war lebensgefährlich. Heute befindet sich Schottwien in einer Art "Dornröschenschlaf". Nur noch der lokale Verkehr des dünn besiedelten Semmering fährt durch. Schuld daran ist die Errichtung der S6 (Semmering-Schnellstraße). Diese überquert die Felsenschlucht mit einer mächtigen Brücke, genau über dem Ort. Bekannt wurde diese Brücke schon vor der Fertigstellung als "Bröselbrücke", da Teile sich lösten und abstürzten.

Schottwien war jahrhundertelang ein wichtiger Ort. Davon zeugt heute nur noch die mächtige Befestigungsanlage, die den ganzen Ort umgab, und die aus dem 12. Jahrhundert stammende Burg Klamm. Noch vor einigen Jahrzehnten gab es in Schottwien ein Dutzend Gasthöfe. Zahlreiche Fuhrwerksunternehmen verdienten an den Vorspanndiensten über den Semmeringpaß gut. Der Niedergang begann mit dem Bau der Semmeringbahn 1848-1854. Schwere Lasten konnten nun mit der Bahn kostengünstig transportiert werden. Was verblieb waren die Poststation und die Gasthöfe für den Personenverkehr. Die erste Kunststraße über den Semmering wurde unter Kaiser Karl VI angelegt. Bis dahin bestand ein Saumpfad bzw. ein Saumweg, der steil war und nur mit robusten Fuhrwerken unter entsprechendem Vorspann zu bewältigen war. Trotzdem rollte ein Großteil des Warenverkehrs aus dem Kärntner Raum nach Norden und aus dem Wiener Gebiet nach Süden über den Paß. Für die Fahrt über den Paß wurde in Schottwien Zoll eingehoben. Da es keine Ausweichmöglichkeit gab, war das für den Ort und dessen Herrschaft (Sigmund Freiherr von Herberstein) ein willkommenes Einkommen. Eine Zollordnung mit genauem Verzeichnis aller Güter und deren Zolltarif ist erhalten geblieben. Sie stammt aus dem Jahre 1545 und wurde im 19. Jahrhundert in einem Buch abgedruckt (M. A. Becker, Niederösterreichische Landschaften mit historischen Streiflichtern. Wien, 1879, S 113 ff.). Die Lektüre des Verzeichnisses ist sehr interessant, da man daraus erkennt, womit im 16. Jahrhundert gehandelt wurde, bzw. was über den Paß transportiert wurde. Besonders bemerkenswert ist für den Weinliebhaber die genaue Aufstellung der Weinsorten (Rainfl, Malvasier, Muscateller, Pingnoll und "Wälschwein"). Am Ende der Auflistung wird der Leser allerdings stutzig. Hier steht: " Juden, gehend, zwen Phening, und von Khauffmannsgüettern, alls vill alls von ainemChristen. Juden reittend, 4 dn." Juden als Warenposten in einem Zolltarif. Reisende Juden mußten in Schottwien um 1545 dafür bezahlen, damit sie über den Paß durften, getrennt im Tarif für zu Fuß gehende oder reitende Personen. Zusätzlich mußten sie für alle Waren bezahlen wie die Christen. Historisch betrachtet war das 16. Jahrhundert im südlichen Niederösterreich judenfeindlich. Wurden in den albertinischen Ländern der habsburgischen Erbländer die Juden schon 1420/21 vertrieben oder getötet, so war man in den leopoldinischen Ländern (Kärnten, Steiermark, Gebiet Wiener Neustadt und Neunkirchen) toleranter. Erst nach dem Landtag von Bruck an der Mur (1496) wurden die Juden vertrieben. Diese siedelten sich in Westungarn an (teilweise heutiges Burgenland).

G. M. Vischev Topographia Austriae Juferior, 1672 Kupferstich