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Die „freihaiten der juden zu Goblspurg“ im Jahr 1642[1]

Gerald GNEIST

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Mit der schriftlichen Quelle „Freiheiten zu Gobelsburg" besitzen wir ein Kleinod deutscher Rechtsgeschichte aus dem Herzogtum Unter der Enns. Sie soll weiten Kreisen unserer Bevölkerung nicht vorenthalten und vor dem Vergessen bewahrt werden. Der Autor hat diese Schrift aus dem Jahr 1642 übersetzt.

Die sogenannten Freiheiten wie jene von Gobelsburg, die unter Punkt 19 expressis verbis das Schutzgeld anführen, sind auf die mittelalterliche rechtliche bzw. gesellschaftliche Sonderstellung der Juden im Habsburgerreich zurückzuführen. Die Schutzbedürftigkeit der mittelalterlichen Juden, die wie Frauen, Kleriker und Kaufleute nicht waffenfähig waren, führte zur Ausstellung von Schutzbriefen, auf die allerdings vom jeweiligen Herrscher Abgaben eingehoben wurden. Unter kaiserlichen Schutz wurden die Juden im 13. Jahrhundert als Kammerknechte tituliert. In späteren Zeiten, und zwar unter lokalen Herrschern, sprach man von Schutzjuden.

Der Text im früh-neuhochdeutschen Original

Ich Hanns Reichard herr zu Polheim (titulus) bekhenne hiemit, das ich denen juden, so aniezo zu Gobelspurg wohnen oder sich khünftig noch andere mehr dahin begeben mechten auf ihr gehorsambes anlangen und bitten, nachfolgende Puncten verwilligt und zuegfelassen.

Erstlichen, das Sye in dem Pfussterischen hauss ein Synagog nach gebrauch Jüdischer Caeremonien mit Vorsingen bauen und machen khünen, doch auf ihren selbst aignen Uncosten.

Anderten, gib ich ihnen zu, das sie ihnen selbsten ein orth zu ihren Freuthoff überkommen und aussehen mügen.

Drittens, mügen sye unter ihnen einen Richter und geschworenen sezen, doch mit Vorwissen der herrschaft, und muess die confirmation von der herrschaft beschehen.

Vierten, wan sie juden unter einander wegen übertretung ihren gesaz, oder andern jüdischen gebreuchen nach strafen, so ist halbe straf der herrschaft, auch wan der richter oder geschworne solche straf der herrschaft nit alsbalden anzaigen, sein sie solche in gedoppelten werth zu bezallen schuldig und verbunden.

Fünften, hat auch die herrschaft macht und gewalt, einen ieden juden nach seinen verbrechen der gelegenheit nach abzustrafen.

Sechsten, sollen sie juden macht haben ihr gewerb und handthierung zu treiben, es sey mit allerlei wahren, khauften und verkhauften, auch fleischhacken, und wie sie ihr brot ehrlich gewühnen khünen, soll ihnen hierinnen nichts gewöhrt sein, doch das sie khein ungerecht oder falsches viech ausshacken, auch niemanden zu verkhaufen geben und überforteillen.

Sibenden, sollen sie mit dem vieh schlächten weder in ihren wohnungen noch auf der gassen khein unlust noch unsauberkeit machen, sich auch [...]2 nach dem willen gottes an einem orth sterben oder oder gefährlichkheiten entstehen mechten, desselben orths genzlich enteußern, auch kheinen frembden juden so von dergleichen orth khäme, bei ihnen nit beherbergen noch ainichen unterschleif geben, wie das ohne das bei ihnen fleissige inspection zuhalten, dem pfleger anbevolchen worden, damit alle unsauberkeit abgestellt werde.

Achten, mügen sie auch an schuld stat auf ihr selbst aigne hauss notdurft wein einhandeln, doch wan sie denselben unter ihnen ausgeben, müssen sie der herrschaft den gebührenden täz und ungeld davon abrichten und bezallen, wan sie aber einen christen ain ächtring3 umbs gelt geben, sein sie schon täz4 und ungelt5 schuldig zu raichen.

Neunten, soll auch niemanden mit ihnen (es sei wer es wolle) nicht zu commendieren haben, es sei geist. oder weltliches stands als mein vorgesetzter pfleger, auch wann sich der juden richter oder ein anderer jud auf die obrigkheit beruefen wuerde, soll er darbei geschützt werden.

Zehenden, muess ein ieder jud im jahr ein raiss auf Wien, Mühlstetten oder Meyhres verrichten, wan er  aber selbsten nit gehet, muess er alsbalden einen andern potten, welchen er bezallen soll, stöllen, oder für iede raiss ainen gulden gelt geben und zu bezallen verpflichtet sein.

Ainliften, soll khein fremdter jud alhie über zwen täg nit aufgehalten, sondern der herrschaft angezaigt werden.

Zwölften, wan die herrschaft von alten oder jungen fleisch, wan sie schlächten, etwas bedürftig sollen sie iedes pfund umb zwen pfening rechter als andern leuthen geben.

Dreizehenden, alles was sie schlächten von gross und khlainen muessen sie vermüg des khai: ausgangen mandats den auf [...]6 darvon geben und alle zeit solches dem pfleger7 anzaigen damit ers beschreiben khan.

Vierzehenden, wan die herrschaft ein fleischpanckhen8 baut, müessen die juden solche in bstand nemmen und davon jährlich der herrschaft zunns raichen p. zehen gulden oder ainen centen ausgelassnes inslet geben.

Fünfzehenden, solang der anschlag des rauchfanggulden weret, müessen die juden denselben von ihren bewohnten heusern geben.

Sechzehenden, muess ain iedes par juden des jahrs zwo genns mösten, die werden ihnen von der herrschaft geben, und darauf haben sie zur möstung einen halben mezen habern, oder müessen darfür in gelt 6 Schilling geben, so verbleibt ihnen die ganss.

Sibenzehenden, muess iedes par juden, so ein ehevolk ist, der burgerschaft zu Goblspurg auf die gmain jährlichen geben p. dreissig khreuzer.

Achtzehenden, wan ein jud in willens het, sich von der herrrschaft Goblspurg aus dem marckht wöckh zubegeben, soll er unaufgehalten sein, aber sich zuvor mit der herrschaft wegen seines abschieds und abzugs zuvergleichen, auch dem pfleger sein schreibtax zugeben und einen andern juden an sein stath zustöllen schuldig und verbunden sein, sich auch mit der jüdischen gmain, wie gereuchig abfinden.

Neunzehenden, soll ein iedes par juden der herrschaft jährlich schutzgeld geben p. 10 f. und ein pfund pfeffer.

Zwainzigisten, wan sie ein ross khaufen, sollen sie vom selben orth ein schein nemmen, wo und wie theur sie es erkhauft haben, sonsten sein sie der herrschaft das ross verfallen.

Schlüsslichen hab ich diese ihr freihaiten gnedige verwilligung bei der herrschaft Goblspurg prothocol B: fol. 123 von wortt zu wortt einschreiben lassen, und den gesambten juden zu Goblspurg mit meinem hoch adelichen insigl verfertigt und mit meiner aignen hand unterschrift becreftiger zuegestellt, so beschehen im schloss Goblspurg den letzten october Ao. 642.

Translation in das Hochdeutsche

Ich, Hans Reichardt, Herr zu Polheim (tituliert), bekenne hiermit, dass ich jenen Juden, die jetzt zu Gobelsburg9 wohnen, oder anderen Juden, die sich in Zukunft dorthin begeben werden, auf deren gehorsames Bitten und Anliegen nachfolgende Punke bewilligen lasse:

Erstens, dass sie im Pfussterischen Haus eine Synagoge zur Ausübung jüdischer Feierlichkeiten samt Vorsingen bauen und machen können, allerdings auf ihre eigenen Unkosten.

Zweitens gestehe ich ihnen zu, dass sie sich selbst einen Ort als Friedhof (ihrer Sitten entsprechend) wählen und aussuchen können.

Drittens können sie einen Richter und Geschworene ernennen, jedoch mit dem Vorwissen der Herrschaft (zu Gobelsburg), und das muss durch die Herrschaft bestätigt werden.

Viertens, wenn diese Juden untereinander wegen Übertretung ihrer Gesetze oder anderer jüdischer Bräuche (jemanden) abstrafen, so fällt die Hälfte der Strafe (= Bussgeldes) an die Herrschaft; ebenso ist, wenn Richter oder Geschworene eine solche Strafe bei der Herrschaft nicht bald anzeigen, diese (Strafe) im doppelten Wert verpflichtend zu entrichten.

Fünftens besitzt die Herrschaft die Macht und Gewalt, jeden Juden entsprechend seiner Verbrechen bei Gelegenheit abzustrafen.

Sechstens sollen Juden die Möglichkeit haben, Gewerbe und Handel zu treiben, sei es mit Waren aller Art, mit Kauf und Verkauf, auch mit dem Fleischhacken. Wie sie eben ihr Brot ehrlich verdienen können. Es soll ihnen hiermit nichts verwehrt sein, ausser dass sie unrechtes oder falsches Vieh aushacken, es verkaufen und auf der Gasse in Verkehr bringen.10 Sie sollen dabei weder Unbehagen noch Unsauberkeit verursachen; sich zudem auch solchen Orten gänzlich fernhalten, wo (Tiere) an einem Ort nach Gottes Willen sterben und dadurch Gefahr zu entstehen vermag. Sie sollen auch keinen fremden Juden, sofern er aus einem fremden Ort kommt, beherbergen bzw. Unterschlupf gewähren. Bei ihnen (den Juden) sei fleissige Inspektion zu halten, wie das dem Pfleger anbefohlen, damit alle Unsauberkeit abgestellt werde.

Achtens vermögen sie auch an Schuld statt für das Bedürfnis ihres eigenen Haushaltes Wein einhandeln, doch wenn sie ihn unter ihresgleichen ausschenken, müssen sie der Herrschaft die zustehende Täz und das Ungeld entrichten und bezahlen; auch wenn sie einen Christen ein Aichtring für Geld geben, sind sie schon verpflichtet, Täz und Ungeld zu entrichten.

Neuntens soll auch niemand ihnen - sei es, wer es wolle - befehlen (was zu tun ist), sei er auch weltlichen oder geistlichen Standes, ausser mein vorgesetzter Pfleger. Auch wenn sich der Judenrichter oder ein anderer Jude auf die Obrigkeit berufen, sollen sie geschützt werden.

Zehntens muss ein jeder Jude pro Jahr eine Reise nach Wien, Mühlstetten oder Meyhres machen. Wenn derjenige aber selbst nicht fährt, hat er baldigst einen anderen (Juden), den er auch bezahlen soll, dafür zu bitten und zu stellen oder ist verpflichtet, für jede Reise einen Gulden zu geben.

Elftens soll kein fremder Jude sich hier mehr als zwei Tage aufhalten, sondern der Herrschaft (widrigenfalls) angezeigt werden.

Zwölftens sollen die Juden, sofern sie schlachten und die Herrschaft von altem oder frischem Fleisch Bedarf hat, davon jedes Pfund um zwei Pfennige gerechter (=billiger) geben als anderen Leuten.

Dreizehntens müssen sie alles, was sie von grossem und kleinem (Vieh) schlachten, aufgrund des vom Kaiser ausgegangenen Auftrages den auf [...]11 davon geben und solches dem Pfleger anzeigen, damit er es beschreiben kann.

Vierzehntens müssen die Juden, falls die Herrschaft eine Schlachtbank baut, diese akzeptieren und dafür der Herrschaft jährlich Zins darreichen für zehn Gulden oder einen zehnten ausgelassenes Inlett.

Fünfzehntens müssen die Juden, solang die Bekanntmachung des Rauchfang-Guldens währet, diesen für ihre bewohnten Häuser abführen.

Sechzehntens muss ein jedes Judenpaar während des Jahres zwei Gänse mästen, die ihnen von der Herrschaft gegeben werden. Dazu bekommen sie zwecks Mästung einen halben Metzen12 Hafer. Sofern sie dafür in Geld sechs Schillinge13 geben, bleibt ihnen die Gans.

Siebzehntens muss ein jedes Judenpaar, falls es ein Ehepaar ist, zugunsten der Gobelsburger Bürgerschaft 30 Kreuzer14 an die Gemeinde abführen.

Achtzehntens, wenn ein Jude den Willen hat, den Markt der Herrschaft Gobelsburg zu verlassen, so soll er davon nicht abgehalten werden, sich aber zuvor mit der Herrschaft wegen seines Abschieds vergleichen (gütlich einigen). Auch dem Pfleger hat er zu schreiben, und er (der Jude) ist schuldig, einen anderen Juden an seiner Statt verbindlich zu stellen15. Er muss sich auch mit der jüdischen Gemeinde, wie es gebräuchlich ist, einigen.

Neunzehntens soll jedes Judenpaar der Herrschaft jährlich Schutzgeld geben für 10 f16 und ein Pfund Pfeffer.17

Zwanzigstens, wenn sie ein Ross kaufen, so sollen sie einen Kaufvertrag unter Angabe des Ortes und des Preises vorlegen, ansonsten ist es der Herrschaft verfallen.18

Schlussendlich habe ich ihre (der Juden) Freiheiten gnädig bewilligt bei der Herrschaft zu Gobelsburg, urkundlich niederschreibend lassend in B: fol19 123, und zwar von Wort zu Wort, und allen Juden zu Gobelsburg mit meinem hochadeligen Siegel bekräftigt und, mit meiner eigenen Hand unterschrieben und gezeichnet, zugestellt. So geschehen im Schloss zu Gobelsburg am letzten Oktober des Jahres 1642.

1  Gedruckte Quelle: Bl. f. Lk. 1866, Nr. 1, Mitteilg., (Abschrift aus dem reichsgräfl. Wurmbrand'schen Familienarchiv zu Steyersberg.

2  Etwas weggerissen.

3  Eine Maßeinheit.

4  Auch Taz, eine nicht nur auf Getränke beschränkte Abgabe. 

5  Zehnprozentige Getränkesteuer.

6  Etwas weggenagt.

7  Ein Verwaltungsbeamter.

8  Waren meist auf dem Marktplatz, später in ebenerdigen Gewölben stehende Bänke.

9  Liegt nordöstlich von Krems. Die alte Anlage wurde 1725 in ein Barockschloss umgestaltet und gelangte schliesslich 1746 als Gutshof in die Hände des Stiftes Zwettl.

10  Hygienevorschriften.

11  Etwas weggenagt.

12  Getreidemass von 61,48685 Litern.

13  Altdeutsche Silbermünze im Wert von 12 Pfennigen.

14  Alte Scheidemünze aus Kupfer.

15  Im Sinne von Stätte, Platz.

16  Wohl fl., d.h. Florentiner (Gulden).

17  Seinerzeit ein begehrtes Gewürz, es diente auch dem Haltbarmachen von Speisen.

18  Erst Joseph II. schaffte eine Steuer, mit der aus jüdischem Besitz stammende Pferde belegt wurden, ab.

19  Bedeutet Blatt.