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Das macht fast glücklich – wenn der Anlass nicht so schrecklich wäre

Tina Walzer

Daniela Grabe über Gedenkkultur und Stolpersteine in Graz

 

Nachdem die Wehrmachts-Ausstellung 1998 einen Diskurs um Gedenkkultur in Gang gebracht hatte, gelang knapp 15 Jahre danach, 75 Jahre nach dem sogenannten Anschluss, die Gründung eines Vereins zur Verlegung von Stolpersteinen für Opfer des Nationalsozialismus in Graz. Die Initiatorin des Vereins, Daniela Grabe, berichtet über Kooperationen, selbst gesteckte Ziele und Erfolgserlebnisse.

Inhalt

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Stolpersteine-Verlegung für 27 ehem. Schüler des Grazer Oeverseegymnasium am 27.6. 2017.  Foto: Alexander Danner, mit freundlicher Genehmigung Verein für Gedenkkultur in Graz.

 

DAVID: Frau Grabe, wie sind Sie selbst zum Thema Opfergedenken gekommen?

Daniela Grabe: Ich beschäftige mich seit Langem mit dem Thema, seit meinem Studium der Geschichte. Damals wurde das Thema NS-Geschichte zu einem Schwerpunkt meines Interesses. Aufgewachsen teils in Deutschland, teils in Österreich, habe ich bald festgestellt, dass ich von dort her eine deutlich stärkere Aufarbeitung des Themas Schuld und Vergangenheitsbewältigung gewohnt war, als ich sie dann hier zunächst einmal vorfand.

 

DAVID: Sie haben sich deshalb persönlich, aber auch beruflich stark dafür eingesetzt, eine Gedenkkultur aufzubauen?

Daniela Grabe: 1998 wurde die Wehrmachts-Ausstellung in Österreich gezeigt. Ich arbeitete an der Präsentation in Graz mit und leitete die Ausstellung hier. Das war eine sehr intensive Auseinandersetzung mit dem Thema. 2008 kam ich dann für die Grünen in den Grazer Gemeinderat. Aufgrund meiner Erfahrungen mit der Wehrmachts-Ausstellung haben wir damals in Graz versucht, einen Diskurs für ein Deserteurs-Denkmal, wie es mittlerweile in Wien existiert, in Gang zu bringen.

 

DAVID: Wie hat sich daraus die Initiative „Stolpersteine Graz“ entwickelt?

Daniela Grabe: Im März 2012 sah ich eine Zeitungsmeldung über die ersten Stolpersteine für homosexuelle Opfer in Salzburg – und das hat mich auf die Idee gebracht, 75 Jahre nach dem Anschluss auch hier in Graz Stolpersteine – das Gedenkprojekt des Kölner Künstlers Gunter Demnig - zu initiieren. Zunächst gestaltete es sich als schwierig, Ansprechpartner seitens der Stadt Graz zu finden – aber doch deutlich anders als noch 1998 mit der Wehrmachts-Ausstellung. Hatte es damals massive Widerstände gegen die Ausstellung gegeben, so war es bei den Stolpersteinen weniger Ablehnung, als eine komplizierte Vorstellung über die Umsetzung. Nachdem als letztes „Argument“ dann kam, es existiere ja nicht einmal ein Trägerverein, da gründeten wir eben diesen Verein für die Stolpersteine, besetzt mit interessierten Personen und ausgestattet mit Kontakten zu verschiedenen Opfergruppen.

 

DAVID: Sie standen auch hier in engem Kontakt mit den Salzburger „Stolperstein“-Organisatoren?

Daniela Grabe: Ja, von der Salzburger Initiative Stolpersteine bekamen wir organisatorische Tipps, und das führte uns zur strassenbaulichen Genehmigung: Das Kulturamt hier übernahm dazu die Vorbereitungen, und dank eines einstimmigen Beschlusses im Rathaus bekam der Verein schliesslich eine dauerhafte Bewilligung zur Errichtung der Stolpersteine.

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Verlegung von Stolpersteinen für die Familie Schkolnik am 29. Juni 2018 im Beisein der beiden als Kleinkinder geflüchteten Töchter Ruth und Sylvia. Foto: Alexander Danner, mit freundlicher Genehmigung Verein für Gedenkkultur in Graz.

DAVID: Spielt die Politik in der Vereinsarbeit eine Rolle?

Daniela Grabe: Obwohl ich das Projekt Stolpersteine noch als Grüne - Gemeinderätin gestartet habe, war es mir immer wichtig, dass der Verein überparteilich agiert und auftritt – damit es nicht irgendwann heisst: „das ist nur ein grünes Projekt“, und, um Menschen, die aus politischen Gründen sonst auf Distanz bleiben würden,  anzusprechen, die uns unterstützen möchten. Aber natürlich freue ich mich sehr über viel unkomplizierte Unterstützung von Grüner Seite, vom Equipment-Ausborgen bis zu finanzieller Hilfe, zum Beispiel für die Anreise Überlebender und Angehöriger zu Steinverlegungszeremonien.

 

DAVID: Wie sieht es mit der Finanzierung aus?

Daniela Grabe: Das Kulturressort der Stadt Graz stellte damals eine Grundfinanzierung von 5.000 Euro zur Verfügung, damit war der Start der Vereinsaktivitäten möglich. Die Steine selbst werden ja in der Regel von Patinnen und Paten aus der Grazer Bevölkerung finanziert. Arbeiter der Stadt stemmen kostenlos Löcher für die Steine. So kann der Verein mit einem extrem kleinen Budget auskommen und autonome Entscheidungen treffen, für wen Steine verlegt werden - unabhängig vom jeweiligen Budget, oder von politischen Kräfteverschiebungen im Rathaus.

 

DAVID: Wie wählen Sie aus, an welcher Stelle und für wen Stolpersteine gelegt werden sollen?

Daniela Grabe: Mein zentrales Anliegen ist, dass sämtliche Opfergruppen in das Stolpersteine-Gedenkprojekt eingebunden sind, und dass also, anders als in Wien, nicht nur jüdischer Opfer gedacht wird. Wir möchten bei jeder grösseren Stolperstein-Verlegung zumindest alle grösseren Opfergruppen dabeihaben. Darauf achteten wir bereits im ersten Jahr, als wir aus Zeitgründen hauptsächlich Opferbiografien auswählten, die bereits gut recherchiert vorlagen, seitens der Universität Graz, des Centrums für Jüdische Studien, des Vereins für Geschichte und Bildungsarbeit CLIO, der KZ-Opferverbände, der Zeugen Jehovas und anderer. Als wir feststellten, dass wir keine Daten über homosexuelle Opfer hatten, half uns die LGBTI Interessensvertretung Rosa-Lila-PantherInnen mit einem eigenen Recherche-Projekt.

 

DAVID: Wie hat sich die Arbeit dann weiterentwickelt, nachdem die ersten Stolpersteine verlegt waren? Hat sich durch Rückmeldungen von Überlebenden und Nachkommen eine neue Dynamik ergeben?

Daniela Grabe: Wann immer sich Überlebende und Nachkommen bei uns melden, haben ihre Stolperstein-Projekte oberste Priorität für uns. Darüber hinaus kommen wir aber auch durch die bereits verlegten Stolpersteine auf weitere Opfer, im Zuge des Nachrecherchierens der einzelnen Biografien. Zusätzlich starten wir aktiv eigene Recherchen, speziell bei den Opfergruppen, die von der historischen Forschung noch vernachlässigt worden sind.

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Verlegung der Stolpersteine für die Familie Schkolnik in Anwesenheit der als Kleinkinder geflüchteten Töchter Ruth Rosowsky und Sylvia Shamei, geb. Schkolnik, sowie (v.r.n.l.) der damaligen Landtagspräsidentin Dr.in Bettina Vollath, dem Präsidenten der Grazer jüdischen Gemeinde KR MMag. Elie Rosen und HR Heinz Anderwald, LAbg. Lara Köck und Vereinsobfrau Daniela Grabe (ganz links). Foto: Alexander Danner, mit freundlicher Genehmigung Verein für Gedenkkultur in Graz.

DAVID: Auf der Vereins-Homepage sprechen Sie gezielt Menschen an, beim Recherchieren – gegen Bezahlung – zu helfen. Denken Sie hier besonders an Jugendliche und junge Erwachsene?

Daniela Grabe: Junge Menschen zu Recherchen hinzu zu ziehen, ist so wichtig. Wir möchten vier Ziele erreichen: Es geht darum, die Erinnerung an die Opfer wachzuhalten; dazu gehört auch, Menschen wieder in Erinnerung zu rufen, die bislang der Öffentlichkeit nicht bekannt waren – sei es, weil sie keine Nachkommen haben, oder aber, weil sie, aufgrund fortgeschriebener Diskriminierung, lange Zeit nicht als Opfer wahrgenommen worden sind, wie beispielsweise Roma. Daneben geht es aber auch ganz wesentlich um eine Art „Psychohygiene“ für die Stadt Graz, einst die „Stadt der Volkserhebung“. Wir wollen aufzeigen, was war, die Wahrnehmung der Bevölkerung gegenüber der Vergangenheit verändern und somit zu einem anderen Umgang mit dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus anregen. Dies ist aus unserer Erfahrung auch heute noch notwendig.

 

DAVID: Bieten Sie auch Vermittlungsprogramme für junge Menschen an?

Daniela Grabe: Ein grosses, wichtiges Standbein unseres Vereins sind die vielen Gedenkspaziergänge mit jungen Leuten. Wiewohl ich gegenüber dem oberflächlichen Schlagwort „Aus der Geschichte lernen“ zur Vorsicht rate, halte ich es für fundamental wichtig, Bezüge aus der Geschichte zum Heute herzustellen. Flüchtlinge in Lagern in Grenzgebieten, Menschen, die ihre Heimat plötzlich verlassen müssen, in ein neues Land kommen, dessen Sprache sie nicht beherrschen, und wie wird dort mit ihnen umgegangen: all das beobachten wir heute, ebenso wie es die Zeitgenossen damals mitbekommen haben. Das bringt mich zum Thema „Zivilcourage“. Die Mitmenschen haben in der NS-Zeit die Verfolgungen sehr wohl miterlebt: ein Geschäft war plötzlich zu, eine Familie in der Wohnung nicht mehr da, Schulkinder nicht mehr in der Schule. Der Vorarlberger Schriftsteller Michael Köhlmeier benennt es in seiner Rede gegen das Vergessen: „Zum grossen Bösen kamen die Menschen nie mit einem grossen Schritt, sondern mit vielen kleinen, von denen jeder zu klein schien für eine grosse Empörung.“

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Der Urenkel beim Einsetzen der Stolpersteine für die Familie Schkolnik, rechts Sylvia Shamei, geb. Schkolnik. Foto: Alexander Danner, mit freundlicher Genehmigung Verein für Gedenkkultur in Graz.

DAVID: Welche Situationen sprechen Sie mit den jungen Leuten konkret an?

Daniela Grabe: Wenn zum Beispiel Schülerinnen mit Kopftuch gemobbt werden oder andere Kinder aufgrund ihrer Herkunft, dass es an uns allen liegt, darauf aufmerksam zu machen und „Halt“ zu rufen: man muss immer einen Konnex zur Lebenswelt der Jugendlichen herstellen, und so auf Diskriminierungen hinweisen.

 

DAVID: Wie wird Ihre Arbeit in Graz aufgenommen?

Daniela Grabe: Die Rezeption ist grossteils sehr gut, nur im ersten Tätigkeitsjahr bekam unser Verein einige wenige verständnislose Reaktionen. Ganz im Gegenteil: Durch die Rückmeldungen finden Menschen wieder zu einander, die seit den Ereignissen der NS-Zeit nichts mehr voneinander gewusst hatten. Der über 80-jährige Herr Steigmann aus Brasilien meldete sich ein Jahr nach der Stolperstein-Verlegung für seinen Vater via Facebook, um uns seine Freude über dieses ihn so berührende Gedenken mitzuteilen und uns wichtige Teile der Geschichte seiner Eltern und der Familie nachzuliefern. Die Eltern hatten sich unter dem Druck der NS-Verfolgung trennen müssen, dadurch konnte seine Mutter und vor allem auch er selbst gerettet werden. Sein Vater schaffte die Flucht später. Ausgangspunkt der Verlegung dieses Stolpersteins waren eine Hausbewohnerin, die sich erinnert hatte, wie die SA den Vater ihres Kindheitsfreundes unten im Erdgeschoss aus dem Haus geprügelt hatte, sowie ein weiterer Bewohner, der sich sehr für das Projekt eingesetzt hat. Die alte Dame wohnt noch in diesem Haus, und so fand sie ihren Jugendfreund Kurt nach über 75 Jahren wieder. Das macht fast glücklich – wenn der Anlass nicht so schrecklich wäre.

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Die beiden Töchter Ruth Rosowsky , geb. Schkolnik und Sylvia Shamei, geb. Schkolnik bei der Verlegung der Stolpersteine für ihre Familie – und beim Betrachten der Fotografien von ihnen beiden als Kleinkinder kurz vor der Flucht bzw. dem Foto ihrer Eltern. Foto: Alexander Danner, mit freundlicher Genehmigung Verein für Gedenkkultur in Graz.

Kontakt:

Verein für Gedenkkultur in Graz, www.stolpersteine-graz.at
c/o Mag.a DI (FH) Daniela Grabe (Obfrau), Mag. Thomas Stoppacher (Kassier)
Lendkai 29, 8020 Graz
Tel. Verein/Verlegungen, Veranstaltungen, Koordination: (Daniela Grabe): 0664/395 5525
Projekt-Organisation: Thomas Meier:

verein-fuer-gedenkkultur-graz@gmx.at und verein@stolpersteine-graz.at

Mag.a DI (FH) Daniela Grabe studierte Geschichte, Germanistik sowie Wirtschaftsinformatik und arbeitet seit 2007 hauptberuflich in der Softwarebranche. 2003 – 2017 Gemeinderätin der Grünen in Graz. Sie befasst sich seit 1998 nebenberuflich mit der Aufarbeitung der NS-Geschichte.