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Schule zur Zwangsabsonderung für jüdische Schüler/Innen in Linz während der NS-Zeit (23.5.1938-17.11.1938)

Manfred AIGNER

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Beginn der Ausgrenzung

Linzer Zeitungen berichteten am 18.5.1938, dass der Bürgermeister von Linz und Vorsitzende des Stadtschulrates Sepp Wolkerstorfer auf Antrag des Stadtschulinspektors Friedrich Kienzel die "Absonderung von Schülern jüdischer Konfession und Rasse an den Volks- und Hauptschulen von Linz verfügt hat" (Mittagsblatt, 18.5.1938). Kurze Zeit später wurde auch die Israelitische Kultusgemeinde in Linz von diesem Beschluss durch den Stadtschulrat Linz verständigt:
"Der Stadtschulrat Linz teilt Ihnen mit, dass in der Altstadt eine Schule für ca. 20 Kinder jüdischer Konfession und Rasse errichtet wurde. Die Schule besteht aus zwei Klassen und der Unterricht ist von 13 bis 17 Uhr festgesetzt worden.
Sie werden hiemit beauftragt, die Kosten für die Erhaltung der Schule und die Besoldung der beiden an ihr bestellten Lehrkräfte aus ihren Mitteln zu tragen." ( AStL, 23.5.1938)
Bei einer NS-Lehrertagung im Mai 1938 in Linz versuchte NS-Landesrat und NS-Landes-schulreferent Dr. Rudolf Lenk in seinem Referat "Die Schule muss politisch sein!" das bereits einer ersten "Aussiebung" unterworfene und in den NSLB (= Nationalsozialistischen Lehrerbund) zwangsintegrierte Lehrpersonal auf das "neue nationalsozialistische Erziehungsziel" hin zu indoktrinieren:
"Das Erziehungsproblem unterliegt nicht mehr der Ansicht, der Meinung, der Diskussion, sondern ist erb- und blutgebundene Wahrheit... Ziel ist der politisch geformte wirkliche Mensch der völkischen Gemeinschaft, der Volksgenosse. Ihr (der Jugend) Stolz sind Blut und Ehre..." ( LVBl. vom 27.5.1938)

In diesem Haus befand sich vom 23.5.bis 17.9.1938 eine Schule zur Ausgrenzung jüdischer Schüler/innen in Linz (Foto Aigner).

Zwei Sammelklassen im Gebäude
der "Hilfsschule"

Die "Einschreibung" für diesen bis Mai 1938 rechtlich nicht vorgesehenen Ausgrenzungsschultypus erfolgte am ersten Schultag ( 23.5.1938 ) und ergab 18 Schüler/innen. Ein Schüler wurde zum Privatunterricht abgemeldet, 3 Schüler/innen wurden nachträglich gemeldet.
Als Schulräume dienten die Schulzimmer der 6. und 7. Klasse der Hilfschule 1 im Hause Altstadt 12. Die 1. Klasse umfasste 12 Schüler/innen (4 Knaben, 8 Mädchen), die 2. Klasse 8 Schüler/innen (3 Knaben, 5 Mädchen). Die Namensliste ist im Archiv der Stadt Linz unter "Schulamt/Judenschule" einsehbar.
Die Erziehungsberechtigten der Schülerinnen hatten folgende Berufe: 14 Kaufleute, 2 Handelsagenten, 1 Artist, 1 Bauingenieur, 1 Beamter, 1 Buchhalter, 1 Büroangestellter, 2 Fachärzte, 1 Handelsangestellter, 1 Hilfsarbeiterin, 1 Kapitän, 1 Rechtsanwalt, 1 Reisender und 1 Schuhmacher.
In Wien waren nach einer Weisung vom 27.4.1938 noch vor Linz über 400 jüdische Wiener Sekundarschüler/innen in fünf Ausgrenzungsschulen untergebracht worden. Gleichzeitig mit Linz wurden nun im Mai 1938 auch in Wien die etwa 9000 jüdischen Pflichtschüler in dreizehn abgesonderten Schulen "zusammengezogen".
Nach sechswöchiger Schulzeit wurde für die 20 jüdischen Linzer Schüler/innen das Schuljahr am 2. Juli 1938 geschlossen. Eine Schülerin wurde aus der Schulpflicht entlassen und erhielt ein Entlassungszeugnis. Während der Ferien wurden weitere 2 Schüler und 5 Schülerinnen abgemeldet, da ihre Eltern ins Ausland bzw. nach Wien "abwanderten".
Durch den Erlass des Ministeriums vom 15.9.1938 wurden nun auch in Linz die Sekundarschüler/innen von ihren Stammschulen vertrieben und der Schule für jüdische Kinder zugewiesen. Dadurch, durch drei Anfänger/innen und Zuzüge aus Steyr und Perg erhöhte sich die Schüler/innenzahl bei der Einschreibung im Wintersemester am 11.10.1938 auf 24 Schüler/innen (13 Knaben, 11 Mädchen).
Die Knaben erhielten wie alle anderen Linzer Schüler ihre tägliche Turnstunde. Die Mädchen absolvierten wegen Mädchenhandarbeit nur zwei Turnstunden. Der Turnunterricht von Knaben und Mädchen erfolgte räumlich und zeitlich gemeinsam, jedoch nach Geschlechtern getrennt. Durch die Vermehrung der Turnstunden wurde die "Kurzstunde" mit 45 Minuten eingeführt.
Das Bild des "Führers" Adolf Hitler mußte auf Weisung des Stadtschulinspektors während des Unterrichts für jüdische Schüler abgehängt werden. Konfessionelle Übungen durften nur an schulfreien Tagen stattfinden.
Bei allen Kindern wurde als Muttersprache Deutsch, als Religion Mosaisch angegeben. In den Schülerbeschreibungsbögen findet sich unter " Alkoholmißbrauch, strafbare Handlungen, Rohheitsakte, sittliche Vergehen, Eigentumsdelikte" keine einzige Eintragung; beim "Verhalten" dominieren Eintragungen wie " wohlerzogen; fügt sich, obwohl Nichtarier, der Klassengemeinschaft harmonisch ein". Eintragungen wurden auch gefordert zu " häusliche Verhältnisse, Krankheiten, körperliche Beschaffenheit, Charakter des Kindes, Anzahl der Geschwister" usw.

Nichtjüdische Lehrkräfte

Als Lehrkräfte für die jüdischen Schüler/innen waren Nichtjuden vorgesehen. Offiziell durften jüdische Lehrer/innen ab Mai 1938 weder in Primar- noch in Sekundarschulen unterrichten: "Deutsches oder artverwandtes Blut" war Voraussetzung Reichsbürger und damit Beamter zu sein. Die einschlägigen Verordnungen wurden am 20.5.1938 auch für die "Ostmark" rechtswirksam (siehe Reichsbürgergesetz ).
Deshalb wurde am 21.5.1938 der oberösterreichische, nichtjüdische Lehrer Paul Schimmerl aus Schenkenfelden telegrafisch nach Linz berufen und mit der Leitung der "Judenschule" betraut. Als zweite Lehrkraft wurde vom Linzer Stadtschulrat Frau Berta Koref vorgesehen. Diese meldete jedoch Krankenurlaub an und ließ sich mit Ende des Schuljahres pensionieren. Als Ersatz wurde Frau Ruth Demant bestimmt, die jedoch ebenfalls den Dienst nicht antrat und angab, nach Ägypten auswandern zu wollen. Für kurze Zeit mußte daher an der zweiklassigen "gemischten Volksschule für Juden mit achtjährigem Alltagsschulbesuch" der Unterricht für beide Klassen gemeinsam nach Aussage des Schulleiters "so recht und schlecht" aufrechterhalten werden. Erst am 3. Juni trat eine Lehrerin in der 1. Klasse ihren Dienst an: Frau Elisabeth Mühlbacher, vorher definitive Lehrerin in Rußbach bei St. Wolfgang. Sie unterrichtete die 1. bis einschließlich 3. Schulstufe gemeinsam, Schulleiter Schimmerl die 4. bis einschließlich 8. Schulstufe. Im "Wintersemester" wurde diese Schulstufen-Zuteilung verändert (1.-4. Schulstufe, 5.-8. Schulstufe).

Die Inhalte der Klassenbücher
der 1. und 2. Klasse vom 23.5. bis 3.11.1938 verraten kaum etwas über die NS-Zeit

Die Inhalte der Klassenbücher decken sich weitgehend mit Inhalten vergleichbarer oberösterreichischer Schulen. Es zeigt sich, dass politische Indoktrination aus den vagen inhaltlichen Angaben von Klassenbüchern oftmals nicht direkt belegbar ist. Auffällig ist, dass sich in der 2. Klasse unter "Geschichte" fast keine Eintragungen finden ( nur einmal über " Die Römer" ). Sehr allgemein gehalten sind die Eintragungen unter "Singen" ( Wiederholung, Kanon, bekannte Lieder ) und "Turnen" ( Bodenübungen, Ballspiele, Spiele). Zum Teil fehlen auch bei diesen Gegenständen inhaltliche Eintragungen gänzlich.
Im "Sachunterricht" wird über "Wasser,Wald und Feld", über "Ferien und die neue Schulklasse", über "Obst und Alkohol", über den "Sommer und Herbst" und die "Himmelsrichtungen" gelernt.
Auch unter den Angaben über "Deutsch" sind politische Themen kaum zu finden: Ein Spaziergang im Wald; Was aus Getreide gemacht wird; Die Ferien; An der Donau; Zwiegespräch zweier Schwalben; Der Ausblick von einem Fenster; Ein Unglück auf der Straße; Wie man Briefe verfaßt; Vom Obst.
Die Angaben in "Rechnen" (Grundrechnungsarten, Dezimalzahlen, Körperberechnungen, Gleichungen etc.) sind ebenso neutral gehalten wie in "Naturkunde" ( Thermometer, Barometer, Naturbeobachtung, Nahrungsmittel, etc.). Ebensowenig über die NS-Zeit verraten die Eintragungen in "Zeichnen" (Im Wald; Von den Ferien; Papierschifflein; Blumen nach der Natur; Wasserkrug; Illustration eines Märchens usw.) und in "Weibliche Handarbeit" ( Stricken eines Pullovers, Häkeln, Kettenmasche, Kreuzstichdecke). Als Erdkundestoff wird ausgewiesen: OÖ.; Das Alpenvorland; Die oö. Alpen; Südamerika; Australien; Neuseeland.
Es wäre interessant und wichtig, gleichsam im letzten Augenblick doch noch durch "oral history" von ehemaligen jüdischen Schüler/innen der Linzer Schule für jüdische Kinder zu erfahren, wie der Unterricht tatsächlich abgelaufen ist und welche konkreten Schulbücher verwendet wurden ( vgl. die Spurensicherung auf dem Gebiet der Kunst: Orpheus-Trust 2002).

Rasche Auflösung der Schule wegen
Flucht/Vertreibung der Eltern

Der Schulbeginn im Herbst 1938 wurde vom 19.9. auf den 11.10.1938 verschoben, da im Schulgebäude bis 10.10.1938 Reservisten einquartiert waren. Noch im Oktober 1938 wanderten nach der vom Schulleiter Paul Schimmerl zum Teil im Nachhinein angelegten "Chronik der Judenschule" sieben Schüler, nach meinen Berechnungen elf Schüler/innen, ab. Am 10. November 1938 (Linzer-Pogrom um 4 Uhr früh) erschien kein Schüler in der Schule. Da bis zum 14. November nur ein einziges Mal ein Schüler zum (deshalb nicht stattfindenden) Unterricht kam, wurde die Schule für jüdische Kinder in Linz am 17.11.1938 endgültig geschlossen. Die beiden Lehrkräfte wurden "bis auf weiteres beurlaubt". Die "Abwanderungen" der Schüler und ihrer Familien erfolgten überwiegend nach Wien, weiters nach Palästina und in die Tschechoslowakei (Nikolsburg).
Nach dem Novemberpogrom fordete Reichserziehungsminister Just die "restlose Entfernung der Juden aus den deutschen Schulen":
"1. Juden ist der Besuch deutscher Schulen nicht gestattet, sie dürfen nur jüdische Schulen besuchen. Alle jüdischen Schüler und Schülerinnen sind sofort zu entlassen.
2. Wer jüdisch ist, bestimmt §5 der 1. Verordnung vom 4. November 1935 zum Reichsbürgergesetz (RGBl. I, S.133)." (siehe: Volksstimme vom 15.11.1938)
Für Linz war dieser Erlass de facto nicht mehr relevant. Es gab keine jüdischen Schüler/innen mehr an "deutschen Linzer Schulen" und auch die jüdische Zwangsabsonderungsschule in Linz hatte ihre Pforten bereits lange vor dem Befehl vom 30. Juni 1942 geschlossen, nach dem reichseinheitlich alle Schulen jüdischen Kindern endgültig verschlossen bleiben sollten.

Primär- und Sekundärquellen:

Aigner, Manfred: Die Nacht des Vergessens soll ein Ende haben. In: linz aktiv 107/1988, S.29-37; vgl. auch: David. Jüdische Kulturzeitschrift 24/1994, S.5-12
AStL (= Archiv der Stadt Linz ), Schulamt, Judenschule, 23.5.1938, Zl. 1022: Die hier gesammelten Materialien umfassen den Schriftverkehr des Stadtschulrates Linz mit der Israelitischen Kultusgeneinde Linz, die beiden Lehrerkonferenzprotokolle vom 23.6. und 10.10.1938, den Hauptkatalog und die Schülerbeschreibungsbögen über die jüdischen Schüler/innen, die Klassenbücher, die "Chronik der Judenschule" des Schulleiters P.H.Schimmerl, , das "Zustellbuch" mit den Abmeldungen, das Schulnachrichtenbuch mit genauen Angaben über die jüdischen Schüler sowie Drucksorten und Erlässe.
Botz, Gerhard: Stufen der Ausgliederung der Juden aus der Gesellschaft. In: Zeitgeschichte 14 (1987), S. 359-378 Die Stadt Linz hat sich, spät aber doch, um die Aufarbeitung der lange Zeit verdrängten NS-Vergangenheit bemüht ( u.a. Schuster 1999, Mayrhofer-Schuster 2001; Gemälderückgaben ). Anregung:
Vielleicht könnten die vielen AHS-Lehrer/innen, die trotz großer Anstrengungen um Politische Bildung seit den 60er Jahren ihren eigenen Angaben nach nicht wissen, was sie im "neuen" Gegenstand "Politische Bildung" unterrichten sollen, mit ihren Schüler/innen gemeinsam Aktionen durchführen, die die "Kontroversen um Österreichs Zeitgeschichte bzw. Gegenwartsgeschichte" " (Botz-Sprengnagel 1994) in der Öffentlichkeit sichtbar machen.
Botz, Gerhard/ Sprengnagel, Gerald ( Hg.): Kontroversen um Österreichs Zeitgeschichte. Frankfurt/M.-New York 1994
Gesetzblatt für das Land Österreich vom 15.9.1938, Jg.1938, 51. Stück, Nr.150: Kundmachung des Reichsstatthalters in Österreich über die Einführung der Nürnberger Rassegesetze im Lande Österreich (gültig ab 20.5.1938).
Historisches Jahrbuch der Stadt Linz 1997, S.409-423
Linzer Volksblatt, Nr. 122 vom 27.5.1938 ( die Hervorhebungen erfolgten durch den Verfasser )
MacIntyre, Alasdair: Der Verlust der Tugend. Zur moralischen Krise der Gegenwart. Frankfurt-New York 1997
Mayrhofer, Fritz/ Schuster, Walter (Hg.): Nationalsozialismus in Linz. 2 Bde. Linz 2001
Neue Zürcher Zeitung, Nr. 167 vom 22.7.2002, S.19ff
Reichsbürgergesetz vom 15.9.1935, § 2, Abs.1; die Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 21.12.1935, §1, Abs.2 sah das Berufsverbot auch für Lehrer/innen vor.
Rosenthal, Gabriele: Antisemitismus im lebensgeschichtlichen Kontext. Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 3 (1992), S.449-480
Schmid, Georg: Die Spur und die Trasse. Wien-Köln-Graz 1988
Schuster, Walter: Deutschnational - Nationalsozialistisch - Entnazifiziert. Linz 1999
Sennett, Richard: The Fall of Public Man. New York 1974 ( dt. Ausgabe: Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität. Frankfurt/M. 2002, S.338; meine Zitat-Übersetzung ist nicht völlig ident mit der Übersetzung der deutschen Ausgabe. )
Vidal-Naqet, Pierre: Die Schlächter der Erinnerung. Wien 2002
Volksstimme vom 15.1.1938
Ziehharmonika. Literatur, Widerstand, Exil. 15.Jg., Nr.2/1998
Der Autor war bis zu seiner Pensionierung 2002 Leiter des Instituts für Geschichtsdidaktik und Politische Bildung der PABL.