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Die Synagoge von Mistelbach und ihr Architekt Friedrich Schön (1857-1941)

Ursula PROKOP

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Nicht alle jüdischen Kultbauten wurden in der NS-Zeit zerstört. Viele wurden oft erst Jahrzehnte später abgerissen. Ein Beispiel für diesen beschämenden Umgang mit jüdischem Kulturgut ist die Synagoge in Mistelbach.

1952 wurde das stark in Mitleidenschaft gezogene Gebäude, das aber durchaus noch in seiner Bausubstanz erhalten war, an die Kultusgemeinde restituiert, die jedoch Mangels einer örtlichen jüdischen Gemeinde keinen Verwendungszweck mehr für das Objekt hatte und es an einen Privatmann verkaufte, der es dann wegen angeblicher Baufälligkeit Mitte der Siebziger Jahre endgültig schleifen liess.1 Ein verblasstes Foto, das kurz vor dem Abbruch entstand, zeigt das von einem Bauzaun umgebene Gebäude, das zwar schon etwas heruntergekommen, aber durchaus noch intakt war. Nach dem Schema einer Basilika in Sichtziegelbauweise errichtet, wurde zur dekorativen Ausgestaltung der Synagoge ein byzantinisch-romanisches Formenrepertoire eingesetzt. Insbesondere die Hauptfront mit einer grossen, mit einem Davidstern versehenen Fensterrose im Giebel und einem dreiteilig gestuften Mittelfenster über dem Eingang war einem besonders repräsentativen Anspruch verpflichtet.

 

Porträt Friedrich Schön. Quelle: Archiv Bezirksmuseum Landstrasse. Mit freundlicher Genehmigung: U. Prokop.

Die Gründe dafür, warum sich damals kein grösserer Widerstand gegen den Abriss des durchaus bemerkenswerten Gebäudes regte, sind vielfältig. Neben einem latenten Antisemitismus, der der Auslöschung allen jüdischen Kulturgutes nicht abgeneigt war, spielten sicherlich auch die damalige Geringschätzung des Historismus sowie die Unkenntnis des Architekten eine Rolle - ein Umstand, der den Bau zu „anonymer Architektur" stempelte. Als Anfang der Neunziger Jahre mit Pierre Genées bahnbrechenden Arbeiten über die österreichischen Synagogen das Interesse zunehmend geweckt wurde und weitere Literatur zu diesem Thema erschien, war der Name des Schöpfers des Mistelbacher Tempels jedoch noch immer unbekannt.2 Erst verschiedene Forschungsprojekte in jüngster Zeit, wie die Aufarbeitung der Geschichte der Juden in Niederösterreich und die Erstellung einer Datenbank der in Wien in der Zeit von 1880-1945 tätigen Architekten, brachten neue Erkenntnisse zutage.3 Wir wissen heute, dass der Entwurf der Synagoge auf  Friedrich Schön zurückgeht, der zu seiner Zeit ein anerkannter Architekt - sogar mit internationalem Renommée - war. So deprimierend die Geschichte der Synagoge auch ist, das Schicksal Friedrich Schöns ist in seiner Grauenhaftigkeit noch ungleich schlimmer. Der kleine Artikel stellt einen Versuch dar, dieses tragische Opfer des Holocaust dem Vergessen zu entreissen und seine Verdienste zu würdigen.

Friedrich (auch Philipp oder Fülöp) Schön, der 1857 in Lovasberény in Ungarn geboren wurde, kam aus sehr bescheidenen Verhältnissen und war schon mit zwölf Jahren Waise. Infolge dieses Umstandes weiss man auch wenig über seine Familie. Ungeachtet dessen erhielt er eine sehr qualifizierte Ausbildung, zuerst am Budapester Polytechnikum, dann in Wien an der Technischen Hochschule, um schliesslich an der Akademie der bildenden Künste bei Theophil Hansen, dem berühmten Ring-strassenarchitekten und Schöpfer des Wiener Parlaments, in den Jahren 1880/83 sein Studium abzuschliessen. Nach ausgedehnten Studienreisen und einer kurzen Praxiszeit in Budapest (unter anderen bei Miklos Ybl, den Planverfasser des ungarischen Parlamentsgebäudes) liess sich Friedrich Schön Mitte der Achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts endgültig in Wien als selbständiger Architekt nieder und war schon bald äusserst erfolg-reich.4 Durch seine Ehe mit Eugenie Cahn (1862-1927), die aus einer sehr gut situierten französisch-jüdischen Familie stammte, schaffte er schliesslich auch den gesellschaftlichen Aufstieg. Als er sich um 1892 eine vornehme Villa im Währinger Cottage (Wien 18, Türkenschanzstrasse 44) errichtete, stand Friedrich Schön im Zenith seines Schaffens. Die in aristokratischer Manier im Giebel angebrachte Kartusche mit seinen Initialen FS am eleganten neobarocken Gebäude reflektiert das Selbstbewusstsein des Architekten. Als begeisterter Kunst- und Antiquitätensammler prägte er auch das Kunstverständnis seiner beiden Töchter Klara (1894-1941) und Margit (1888-1937). Die Ältere, die ihre Ausbildung bei der bekannten Malerin Tina Blau erhalten hatte, schlug eine künstlerische Laufbahn ein, während die Jüngere den italienischen Kunsthistoriker d`Ozzola heiratete.

Im Rahmen seiner Tätigkeit als Architekt war Schön, der ein grosses Atelier mit zahlreichen Mitarbeitern unterhielt, mit den unterschiedlichsten Bauaufgaben befasst. Neben Miethäusern und repräsentativen Villen errichtete er auch diverse Sakralbauten, Schulen, Warenhäuser und Industrieanlagen, wobei er nicht nur in Wien, sondern auch in Ungarn und vielen anderen Ländern tätig war.5 Insbesondere auf dem Gebiet des damals neuen Typus des Warenhauses erbrachte Schön durch den Einsatz von innovativen Eisenkonstruktionen eine Pionierleistung. So war das um 1895 für die Firma Ludwig Zwieback & Bruder in der Kärntner Strasse 11 errichtete Geschäftshaus nach dem damals letzten Stand der Technik konzipiert und wurde als beispielgebend angesehen. 6 Dementsprechend erhielt Schön einige Jahre später sogar einen Auftrag für die Errichtung eines Warenhauses für die Firma Siegfried Stein`s Söhne in Cairo, das er in Zusammenarbeit mit derselben Baufirma ausführte.7 Nicht ohne Stolz verwies er in einem Vortrag vor der Österreichischen Ingenieur - und Technikervereinigung auf diesen Transfer modernster österreichischer Technologie, der ihm zu verdanken war. 8 Zu den im Wiener Kontext bekanntesten Industriebauten Schöns zählt vor allem die Ankerbrot-Fabrik in Wien-Favoriten, die 1891 von Heinrich & Fritz Mendel mit der Bezeichnung Wiener Brot- u. Gebäckfabrik gegründet worden war. Den damaligen funktionalistischen Kriterien entsprechend wurde das Gebäude in Sichtziegelbauweise ohne jeden Dekor ausgeführt. Da der sehr erfolgreiche Betrieb rasch expandierte, war Schön auch in den folgenden Jahren laufend mit weiteren Ausbauten für das Unternehmen befasst.9

 

Villa Schön, Wien 18,Türkenschanzstr. 44, errichtet 1894. Foto: Peter Prokop.

In diese Zeit fällt auch Schöns Auftrag für den Tempel in Mistelbach, nachdem deren stark wachsende jüdische Gemeinde 1891 den Status einer Israelitischen Kultusgemeinde erhalten hatte und eine eigene Synagoge benötigte.10 Die näheren Umstände der Auftragsvergabe sind nicht bekannt. Obwohl Schön sich mehrfach an Ausschreibungen für Synagogen beteiligt hatte und oftmals auch als Juror bei solchen Wettbewerben tätig war, war er dennoch kein eigentlicher Spezialist auf diesem Gebiet. Die relativ kleinen Dimensionen des Baues lassen vermuten, dass es für den viel beschäftigten Architekten nur eine Gelegenheitsarbeit war, die möglicherweise als Entgegenkommen an die örtlichen Gemeinde zu denken ist.11 Neben Schön als Planverfasser waren noch der örtliche Baumeister Dunkl und ein Ingenieur Edelstein mit der Ausführung befasst.12 Die Bauzeit war mit rund zehn Monaten ausserordentlich kurz, denn die Gemeinde hatte erst im April 1895 ein Grundstück an der Ecke Gartengasse /Oserstrasse erworben und bereits zu Beginn des nächsten Jah-res konnte die feierliche Einweihung stattfinden.

Ausser dem eigentlichen Bethaus umfasste der Bau noch die Kanzlei der Kultusgemeinde und einen grossen Sitzungssaal, in dem das obligate Porträt des Kaisers angebracht war. Über die Ausgestaltung der Innenräume ist wenig bekannt. Zum Zeitpunkt der Einweihung fehlte noch die Innendekoration, da man die Austrocknung der Mauern abwarten musste. Die ästhetische Qualität des Gebäudes wurde jedoch auch seitens der nichtjüdi-schen Presse hervorgehoben, so betonte der Bote aus Mistelbach die „schöne architektonische Ausführung".13 Wie bereits zu Beginn angeführt, brachte Schön für den Bau ein byzantinisch-romanisches Formenrepertoire zum Einsatz, nach dem Vorbild der Sakralbauten seines ver-ehrten Lehrers Theophil Hansen.14  Dem entsprach auch die farbliche Differenzierung mittels rötlichem Klinker und den weissen Gesimsen und Umrahmungen der Fenster und Türen. Die Einweihung, die am 25. Februar 1896 stattfand, wurde seitens des Vorstandes der Kultusgemeinde Ludwig Abeles und des Bezirksrabbiners Sor in Anwesenheit des k. k. Bezirkshauptmannes Ba�ant, zahlreicher örtlicher Honoratioren und Deputierten diverser niederösterreichischer   und Wiener jüdischer Gemeinden gefeiert. Allerdings überschatteten antisemitische Querelen bereits damals die Feier, da der Bürgermeister trotz Zusage demonstrativ fernblieb. Dessen ungeachtet gab es nach der Einweihung ein grosses Festmahl im Rat-haus, wo bei den zahlreichen Festreden auch die Verdienste Friedrich Schöns gerühmt wurden,  der sich mit einem Toast bedankte. Die Feierlichkeiten, die mit dem Konzert einer Militärkapelle und einem Kränzchen abgeschlossen wurden, dauerten schliesslich bis in die frühen Morgenstunden.15

 

Synagoge Mistelbach, errichtet 1896, Aufnahme um 1975. Quelle: Sammlung Genee/Jüdisches Museum Wien. Mit freundlicher Genehmigung: U. Prokop.

Friedrich Schön hatte als Architekt bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges noch eine sehr produktive Phase. Neben einer Reihe von Industrieanlagen, wie die Pumpenfabrik Garvens am Wiener Handelskai, die Grossdruckerei Vernay und das Donauwerk Krause, plante er unter anderem 1905/7 auch den sogenannten Industriepalast. Der mächtige, langgestreckte  Bau am Franz Josefs-Kai 7-9 war damals das erste Kontorgebäude dieser Art.16 Das während des Zweiten Weltkrieges stark in Mitleidenschaft gezogene Gebäude wurde sehr vereinfacht wieder aufgebaut und dient heute als Sitz des Bundesministeriums für Landesverteidigung. Aber auch elegante Villen und Mietpalais, wie der derzeitige Sitz der albanischen Botschaft (Wien 3, Jacquingasse 41) gehörten zu seinen Aufgaben. Generell haben die Zeitläufte Friedrich Schöns architektonischem Werk jedoch übel mitgespielt, ein Grossteil wurde zerstört oder stark verändert. Ein zumindest nach aussen hin nahezu unveränderter Bau zeugt bis heute von seiner Könnerschaft: Das 1909 auf dem    Wiener Kohlmarkt errichtete Modehaus Gustav Pollak (Wien 1, Kohlmarkt 2) konnte trotz seiner höchst ungünstigen Situierung auf einem äusserst schmalen Grundstück durch den Einsatz einer ausgeklügelten Betonständerkonstruktion zehn Stockwerke hochgezogen werden.17 In der für Schön typischen Synthese von Tradition und Moderne bilden die weit geöffnete Glasfront und der sparsam eingesetzte neobarocke Dekor an der mit dunklen Steinplatten verkleideten  Fassade eine harmonische Einheit. In der Rückschau reflektieren Schöns Werk und seine Auftraggeber auch einen kleinen Ausschnitt jüdischen Unter-nehmertums der vergangenen Jahrhundertwende.

Giebel des Warenhauses Pollak, Wien 1, Kohlmarkt 2, errichtet 1909. Foto: Peter Prokop.

Aus der Zwischenkriegszeit sind keine konkreten Bauten Friedrich Schöns dokumentiert und die schlechten wirtschaftlichen Zeiten dürften sich auch in der Auftragslage seines Ateliers niedergeschlagen haben. Dennoch wurde anlässlich seines achtzigsten Geburtstages, den er im August 1937 feierte, in diversen Würdigungsartikeln hervorgehoben, dass er noch immer beruflich tätig sei. 18 Generell wurden ihm aus diesem Anlass zahlreiche Ehrungen zuteil. Nur kurze Zeit später sollte jedoch den alten Herrn, der als Witwer mit seiner unverheirateten Tochter Klara in der eleganten Währinger Villa lebte, ein schrecklicher Schicksalsschlag ereilen.  Nach dem Anschluss Österreichs an NS- Deutschland im März 1938 verabsäumte es Schön - höchstwahrscheinlich aufgrund seines fortgeschrittenen Alters - zu fliehen und blieb in Wien. Als gegen Ende 1941 die ersten Judendeportationen einsetzten, gehörte er mit seiner Tochter Klara zu den ersten, die verschickt wurden. Eine Erklärung dafür könnte der Umstand sein, dass Schön möglicherweise nach dem Friedensschluss von St. Germain für sein Heimatland Ungarn optiert hatte und dadurch als nicht reichsangehöriger Jude besonders früh erfasst wurde. Die Geschehnisse rund um den Deportationstransport, in dem sich der damals vierundachtzigjährige (!) Friedrich Schön und seine Tochter befanden, sind relativ gut dokumentiert. Am 23. November 1941 ging der Transport, der 1.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder umfasste, vom Wiener Aspangbahnhof ab. Aus bis heute nicht bekannten Gründen wurde der Zug, der ursprünglich nach Riga hätte fahren sollen, nach Kowno (Kaunas/Kauen, heute Litauen) umgeleitet, wo die Verschleppten sofort nach ihrer Ankunft im Fort IX, einer alten zaristischen Befestigungsanlage, unter massiver Beteiligung einheimischer Kräfte ermordet wurden.19 Keiner der Wiener Deportierten überlebte.

1   Siehe dazu: Andreas Matthias Kloner, Die israelitische Gemeinde in Mistelbach, in: DAVID, 1996, Nr.30, S.9ff

2   Pierre Genèe, Synagogen in Österreich, Wien 1992 und Elisabeth Koller-Glück, Von den neuzeitlichen Synagogen in Niederösterreich, in: Denkmalpflege in Niederösterreich, Bd. 14, 1995, S.27ff

3   Vor allem Christoph Lind, Der letzte Jude hat den Tempel verlassen, Wien 2004 (Juden in Niederösterreich 1938-1945) und Architektenlexikon des AzW (Wien 1880-1945) , (erstellt 2005/08).

4   Siehe dazu: Ursula Prokop, Friedrich Schön, in: www.architektenlexikon.at  u. Ch. Gruber, Friedrich Schön, in Österr. Biograph. Lexikon, Bd.12, 2005 - Schön war jedoch keinesfalls, wie des Öfteren in der Literatur behauptet, mit dem Architektenbrüderpaar Karl und Wilhelm Schön verwandt.

5   Schön errichtete u. a. in Budapest,  Triest, Stuhlweissenburg und vielen Städten der Monarchie Warenhäuser, Schulen und anderes mehr.

6   Die Firma Ludwig Zwieback & Bruder wurde 1938 „arisiert" (siehe dazu Tina Walzer/ Stephan Templ, Unser Wien, Berlin 2001, S.157) Das Gebäude in der Kärntner Strasse 11 existiert bis heute und wurde nur im unteren Bereich mehrmals verändert. Derzeit  befindet sich eine Filiale der Modekette H & M dort.

7   Auftraggeber war die Fa. Siegfried Stein`s Söhne, die in Wien ansässig war und auch eine Zweigstelle in Cairo unterhielt. Die beiden Eigentümer waren die Brüder Isidor  (geb. 1869 Wien) und Siegfried Stein jun. (geb.1883 Wien). Während der ältere kurz vor der Deportierung 1940 in Wien verstarb, wurde der jüngere 1942 im KZ Maly Trostinec ermordet. (freundliche Auskunft Georg Gaugusch)

8   Friedrich Schön, Vortrag über einige in den letzten Jahren ausgeführte Bauten vor dem Österreichischen Ingenieur- und Architektenverein 1906 (in: Zeitschrift d. Österr. Ing. u. Architektenverbandes 58.1906, S.220)

9   Siehe dazu, Favoriten, Ein Heimatbuch (Hg. v. Klemens Dorn), Wien 1928. Auch diese Firma wurde 1938 „arisiert", wenn auch der Markenname bis heute besteht.

10   Nicht zuletzt prosperierte der Ort durch seine Situierung an der Brünner Staatsbahn. Siehe dazu: Kloner, zit. Anm. 1

11   Nicht selten war es seitens der Architekten in dieser Situation üblich, kein Honorar zu verlangen.

12   Dr. Bloch`s Wochenschrift, 1896, Nr. 10, S.201

13   Der Bote aus Mistelbach, 15. 2. 1896

14   Wie sehr Friedrich Schön Hansen verehrte, geht auch daraus hervor, dass in seiner mit Kunstwerken ausgestatteten Villa eine Hansen-Büste an prominenter Stelle situiert war. (F. Planer, Friedrich Schön, in: Jahrbuch der Wiener Gesellschaft, Wien 1929)

15   Siehe Anm. 12

16   Volkszeitung 25.8.1937

17   Der Bautechniker 30.1910. S.402, T.21

18   Neue freie Presse 28. 8.1937

19   Dokumentationsarchiv d. österreichischen Widerstandes/Deportiertenliste