Ausgabe

Kunst, die künstliche Wesen bändigt Isaac Asimov (1920 – 1992), Jacques Offenbach (1819 – 1880) und die Idee vom Golem

Tina Walzer

Das Unbehagen angesichts künstlicher Intelligenz, die jede unserer Bewegungen registriert, der verselbständigten Algorithmen, die uns im World Wide Web vor sich her treiben, und die Ratlosigkeit gegenüber einer darob aus den Fugen geratenden Welt scheinen Phänomene des Alltags im dritten Millennium. Neu ist der Zweifel an der Zweckhaftigkeit manch menschgeschaffener Vehikel des Strebens nach Macht und Fortschritt nicht.

Inhalt

Schon die Bibel kennt den Begriff des Unfertigen, Golem; in der rabbinischen Literatur wird daraus der mystische Mensch aus Lehm. Ein mechanisch agierendes Wesen, geschaffen vom Gelehrten, gesteuert durch kopfimplantierte Texte, das sich verselbständigt und den Schöpfer über die anmassend-fragwürdige Kreatur beinahe die Kontrolle verlieren lässt: Rabbi Löws Golem im Prag Tycho Brahes, Keplers und der Alchemisten um Rudolf II. ist die bekannteste Variante dazu. Die Idee lebt im Judentum weiter, bildet eine kulturelle Kontinuität, über die Grenzen regionaler Zugehörigkeit oder religiöser Identität hinweg. Gerade in der aschkenasischen Tradition des aufklärungsbetonten, säkular experimentierfreudigen 19. und 20. Jahrhunderts wird sie angesichts des machtgierigen Fortschritts zur Skepsis. Ob Roboter oder Puppe, das maschinelle Menschimitat wird hinterfragt und mahnend zu Angst und Enttäuschung ob der Grenzen solcher Schöpfungen in Beziehung gesetzt.

 

Der Wissenschafter und Romanautor Isaak Asimov wurde als Sohn einer Dynastie jüdischer Müller am 2. Januar 1920 in Petrovichi, Russland geboren. Seine Eltern wanderten mit ihm 1923 in die U.S.A. aus. In Brooklyn, New York liess sich die jiddisch-sprachige Familie nieder und eröffnete ein Zuckerlgeschäft. Die dort aufliegenden Hefte der Trivialliteratur boten dem Neunjährigen Lesestoff – vor allem aus der Welt der Science Fiction, die ihn sein ganzes Leben lang faszinieren sollte. In seinem eigenen schriftstellerischen Schaffen interpretierte er diese Literaturgattung allerdings stets streng wissenschaftlich. Während er Biochemie an der Universität von Boston lehrte, entfaltete Asimov eine umfassende künstlerische und volksbildnerische Schreibtätigkeit.

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Isaac Asimov, vor 1959. Foto: Phillip Leonian für New York World-Telegram & Sun. Quelle: United States Library of Congress, New York World-Telegram and the Sun Newspaper Photograph Collection. Call number: NYWTS - BIOG--Asimov, Isaac, Dr. <item> [P&P]. Reproduction number: LC-USZ62-115121; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Isaac.Asimov01.jpg

Es war die Zeit des beginnenden kaltes Kriegs, die UdSSR hatten gerade den Sputnik ins All geschossen (einen ersten Satelliten), und in den U.S.A. ging die Angst um, den Fortschritt der Russen in Wissenschaften und Technologie nicht mehr aufholen zu können. Also förderte der Staat Forschung zu militärischen Zwecken: Raketenabwehr, Vorläufer des heutigen Internet, Satellitentechnologien für die Heereskommunikation; Verleger wiederum verbreiteten allgemeinverständliche Texte, um diese Erkenntnisse einer breiteren Öffentlichkeit näher zu bringen und positiv zu besetzen. Die Menschen fürchteten sich davor, wegen eines technologischen Rückstands vernichtet zu werden.

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Jacques Offenbach um 1860. Foto: Gaspard-Félix Tournachon, genannt Nadar. Quelle: Bibliothèque nationale de France, Gallica Digital Library, digital ID btv1b530922314, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Jacques_Offenbach_by_Nadar.jpg

Bereits angesichts der Schrecken des NS-Regimes hatte Asimov 1939 zu schreiben begonnen, Science Fiction. Zeitgleich studierte er und leistete seinen Militärdienst bei der U.S. Navy im Forschungsbereich. 1957 schwenkte er um, von Belletristik auf Fachbücher – viele seiner Publikationen waren nun populärwissenschaftlich gehalten, um erst 1982 wieder Science Fiction zu produzieren. Unter den erfolgreichsten Themen seiner Bücher finden sich Roboter, die ethische Regeln lernen, sowie die sogenannte Social Science Fiction. Diese dreht sich um fiktionale Gesellschaften, deren Verhalten beobachtet wird, um die Zukunft daraus folgerichtig abzuleiten, weil  sie vorhersagbar – und damit gesichert – ist.

Asimovs Elternhaus war übrigens traditionell osteuropäisch orthodox, er selbst hingegen bezeichnete sich als Humanisten, als nicht-strenggläubigen Juden, der die religiösen Gesetze nicht befolge, kurz: „non-observant“.

 

Roboter und Wissenschaft zum Schutz der Menschheit vor sich selbst

 

Der prominente Universalgelehrte schrieb über fünfhundert Bücher, darunter Science Fiction-Serien wie den Foundation Zyklus oder die Roboter-Geschichten Positronic Robots, ebenso wie Fachliteratur über Forschungsgebiete der Biologie, Astronomie und Chemie, etwa den Urknall, Schwarze Löcher oder die Evolutionstheorie, aber auch zahlreiche historische Darstellungen, darunter eine Geschichte der Bibel, und sogar ein Buch über Shakespeares literarisches Werk. In seiner Foundation Trilogie setzt sich Asimov mit dem Untergang eines Reiches und dem daran anschliessenden Neuaufbau auseinander: unter Anwendung der fiktiven Wissenschaft der Psychohistorik entwickeln die besten Wissenschafter ihrer Zeit mithilfe der Encyclopaedia Galactica eine neue, auf Forschung und Wissenschaft gegründete Zivilisation. Die Roboter-Geschichten hingegen basieren auf neuesten Forschungsergebnissen zur Entwicklung von Artificial Intelligence: sie setzen sich mit der Angst der Menschen vor künstlichen Menschen auseinander, mit philosophischen und moralischen Fragestellungen. Der Autor schlägt vor, dass Roboter ethische Regeln lernen sollen, besser bekannt als die Three Laws of Robotics oder Asimov‘sche Gesetze, damit sie ihre Schöpfer nicht eines Tages vernichten. Durchaus ablesbar ist aus ihnen umgekehrt die Vorstellung, dass Roboter die Herrschaft übernehmen, sollte es nötig werden, die Menschen daran zu hindern, einander zu verletzten oder überhaupt zu vernichten. Isaac Asimov verstarb am 6. April 1992 in Manhattan, New York.

 

Die Femme Fatale und der Höllengalopp des
Industriezeitalters

 

Jakob Jacques Offenbach kam gut hundert Jahre vor Asimov, am 20. Juni 1819 in Köln zur Welt, wo sein Vater als Kantor der jüdischen Gemeinde wirkte. Dieser, selbst routinierter Musiker des Biedermeier, schickte seinen musikalisch hochbegabten Sohn zur Ausbildung nach Paris. Jacques, wie er sich nun nannte, erhielt Cello-Unterricht bei Olive-Charlier Vaslin und Jacques Fromental Halévy und konnte bald mit Stars wie Felix Mendelssohn-Bartholdy und Franz Liszt auftreten. Im Alter von 35 Jahren eröffnete der erfolgreiche Cello-Virtuose sein eigenes Theater, die Bouffes Parisiens, und unterhielt sein Publikum mit ironisch-satirischen opere buffe, in denen er die Gesellschaft des französischen Zweiten Kaiserreichs sozialkritisch karikierte. Libretti schrieb ihm der Neffe seines Lehrers, Ludovic Halévy (1834 – 1908), gemeinsam mit Henri Meilhac (1831 – 1897). Johann Strauss in Wien, dem die sogenannten Offenbachiaden gefielen, kreierte daraus das für die zensurgeplagten Wiener Publikumsgewohnheiten weichgezeichnete Genre der Operette.

 

Inzwischen arbeitete Offenbach als Operndirektor, Komponist und Unternehmer bis zur Erschöpfung: er verfasste insgesamt 75 Kompositionen für Violoncello sowie 105 Bühnenwerke. Zu den bis heute weltweit gespielten zählen Orpheus in der Unterwelt (1861), Die schöne Helena (1865) und Hoffmanns Erzählungen (1881). Nach langem Leiden, verursacht durch äusserst schmerzhafte Gichtanfälle, die ihn zwangen, sich zur Linderung Sommer wie Winter in Pelzmäntel zu hüllen, verstarb Jacques Offenbach am 5. Oktober 1880 in Paris, bei den Proben zu Hoffmanns Erzählungen. Der Architekt der Pariser Opéra, Charles Garnier, schuf für den idyllischen Friedhof am Montmartre sein Grabmal.

 

Hatte die karikierte Pariser "bessere Gesellschaft" in der Unterwelt noch den Galop infernal – seither besser bekannt als Cancan – des zum Katholizismus konvertierten Komponisten Offenbach angestimmt, so offenbart eine andere seiner bedeutendsten Bühnenschöpfungen die Täuschungen der Wissenschaft. In den posthum uraufgeführten Contes d‘ Hoffmann schafft das nämlich die grosse Liebe des Helden, es ist des Physikers Spalanzani mechanische Puppe
Olympia, die Hoffmann durch ihre Augen – geschaffen vom sinistren Alchemisten Coppelius – die Sinne verwirrt. Wie der Kantor mit seinem Gesang die Herzen der Betenden öffnet, bringt der Komponist Offenbach die Figuren E.Th.A. Hoffmanns zum Klingen: In der berauschenden venezianischen Barcarole, Belle nuit, ô nuit d‘ amour, werden die Abgründe der menschlichen Seele, ebenso wie der Künstler vom verzauberten Publikum, sehnsuchtsverzehrt beweint.